Medicus von Konstantinopel
Eroberung der Stadt durch die Truppen des Sultans vorbereiten sollten. Maria hatte ihren Vater, Maldini und andere Genueser oft genug darüber reden hören. Zu guter Letzt musste man sich im Notfall alle Optionen offenhalten, und selbst wenn man während der eigentlichen Kämpfe die Stadt verließe, galt es ja, nach einem eventuellen Sieg der Angreifer die zurückgelassenen Besitztümer zu bewahren. »Besser, der Sultan zieht ein als noch mal die Venezianer!«, hatte Maria noch im Ohr, Worte, die Maldini mehr als einmal ausgesprochen hatte, worauf die Anwesenden meistens mit einem verhaltenen Gelächter antworteten.
Davide machte Maria auf einen bärtigen Mann aufmerksam, der die Gewandung eines orthodoxen Mönchs trug. »Diesen Mann solltet Ihr im Auge behalten, Maria«, riet Davide.
»Wer ist das?«
»Athanasius Synkellos«, gab Davide Auskunft.
Maria sprach gut genug Griechisch, um zu wissen, dass Synkellos Zellengenosse bedeutete – für einen Mönch sicherlich kein unpassender Beiname. »Er ist der Privatsekretär und Stellvertreter von Patriarch Gregor III. Mammas und hat erst vor kurzem den Titel eines Protosynkellos bekommen.«
»Das heißt, er wird vermutlich der Nachfolger des Patriarchen?«
»Ja. Und es ist bekannt, dass er nicht nur ein Feind der Lateiner, sondern auch ein Gegner der Kirchenunion ist!«
»Dann sollten wir im eigenen Interesse Patriarch Gregor ein möglichst langes Leben wünschen«, mischte sich Marco ein, der Davides Worte genau vernommen hatte, obwohl ihm vorher eigentlich nicht anzusehen gewesen war, dass er den Worten des Schreibers aufmerksam zugehört hatte.
»Ihr könnt davon ausgehen, dass Patriarch Gregor ihn nicht freiwillig zum Protosynkellos gemacht hat«, stellte der Schreiber des Hauses di Lorenzo fest. »Aber der Patriarch hatte wohl keine andere Wahl. Die Kirche Konstantinopels war in Bezug auf die Union ja von Anfang an tief gespalten, mittlerweile sind jedoch deren Gegner angeblich eindeutig in der Mehrzahl. Sobald Athanasius Patriarch wird, werden wir alle das zu spüren bekommen!«
»Nun, Ihr gehört doch der syrischen Kirche an«, erwiderte Maria. »Also dürfte sich seine Abneigung doch nicht gegen Euch richten!«
»Und ob!«, widersprach Davide. »Wir syrischen Christen sind für die Orthodoxen doch von jeher Ketzer, weil wir die Dreifaltigkeit nicht anerkennen!«
»Das heißt, er würde euch Levantiner am liebsten gleich nach den Lateinern aus der Stadt jagen«, meinte Marco. »Allerdings wäre Konstantinopel dann wohl fast völlig entvölkert, denn von den sogenannten Rechtgläubigen gibt es doch kaum noch welche!« Marco kicherte auf eine fast schon unverschämte Weise, die demonstrierte, wie gleichgültig ihm all der kaiserliche Prunk in Wirklichkeit war, der ihn gerade umgab.
Athanasius ließ den Blick schweifen. Er vertrat offenbar den Patriarchen, für den es undenkbar gewesen wäre, sich bei solch einem Anlass unter die Bittsteller am Hof zu mischen. Schließlich nahm das Kirchenoberhaupt für sich in Anspruch, dem Kaiser übergeordnet zu sein, der ja seinerseits allein durch die Gnade Gottes regierte – und nicht umgekehrt! Hingegen tat der Kaiser alles, um jegliche Unterwerfungsgesten zu vermeiden, die die orthodoxe Geistlichkeit von ihren Geistlichen verlangte.
Die bescheidene mönchische Erscheinung des Protosynkellos stand im krassen Gegensatz zum allgemeinen höfischen Gepränge. Genau diesen Gegensatz wollte Athanasius vielleicht sogar noch betonen. Zehn Jahre war es her, dass Kaiser Johannes VIII. aus dem Geschlecht der Palaiologen Papst Eugen in Rom besucht hatte, um mit ihm die letztlich wirkungslos gebliebene Kirchenunion zu beschließen. Viele nahmen dies dem Kaiser bis heute ebenso übel wie dem Patriarchen, der dabei eine noch entscheidendere Rolle gespielt hatte.
Maria fühlte ein Augenpaar auf sich gerichtet. In einiger Entfernung starrte ein grauhaariger Mann sie an. Er trug ein enganliegendes Wams nach venezianischer Mode, das allerdings sehr abgegriffen wirkte. An manchen Stellen waren die Nähte grob und mit einem Faden in unpassender Farbe ausgebessert worden. Die lederne Weste, die er darüber trug, war fleckig. Darüber hinaus mutete seine Kleidung zu groß an, so als würde sie ihm entweder nicht gehören oder als wäre er hagerer geworden, seit man ihm diese Stücke angepasst hatte.
Das Gesicht des Grauhaarigen war aschfahl und leichenblass, wie wenn er schon lange nicht mehr das Sonnenlicht gesehen hätte. Der
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