Medieval DeWarenne 03 - Der Wolf und die Lilie
sich. Ihre angeborene Wachsamkeit gab ihr ein, Augen und Ohren und ihren scharfen Geruchssinn zu nutzen, um eventuellen Gefahren vor ihrer Höhle zu begegnen. Wieder ertönte das Heulen, und der Ruf der Wildnis war von fast unwiderstehlicher, drängender Verlockung.
Eine uralte, über Generationen kluger, listenreicher Ahnen überlieferte Weisheit, ließ sie die damit verbundenen Risiken abwägen. Ihr natürliches Zaudern schwand allmählich und wich dem Wissen, dass das vor ihr liegende Abenteuer herrlich zu werden versprach. Ihr rastloser Geist hungerte nach Erregung. Ihr Instinkt lechzte nach einem Seelengefährten.
Lautlos glitt sie aus ihrem sicheren Schlupfwinkel in die dunkle, nur vom Mond erhellte Nacht. Sie bewegte sich zwischen den Bäumen dorthin, wo der Boden anzusteigen begann und folgte einem unsichtbaren Pfad, der sie zu ihrem Schicksal geleitete.
Plötzlich sah sie ihn und hielt jäh inne. Das Mondlicht ließ seine dunkle Silhouette hervortreten, wie er mit zurückgeworfenem Kopf auf dem Gipfel eines Hügels stand. Der prachtvollste männliche Wolf, den sie jemals gesehen hatte. Instinktiv wusste sie, dass der dunkle Wolf dominant und gefährlich sein würde, doch war sie bereit, ihm zu folgen, wohin er sie führen mochte.
Er witterte ihre Nähe, drehte sich nach ihr um und stieß ein Geheul aus, elementar und ursprünglich. Sie ging näher, antwortete auf seinen Ruf und sah, dass sein glattes Fell schwarz war und seine Augen von hellem Grau. Er tat einen Schritt auf sie zu, und ihrer Kehle entrang sich ein warnendes Knurren. Ihre Warnung ignorierend glitt seine Zunge hervor und leckte sie. Sie liebkoste seinen Hals als Zeichen, dass sie ihn akzeptierte.
Seite an Seite sprangen sie den Hügel hinunter, rannten in einem Freudentaumel immer schneller, ihre Freiheit auskostend, ekstatisch, weil sie einander gefunden hatten. Meile um Meile ging es dahin, über Felder, durch Bäche und Wälder, bis die Dämmerung den Himmel erhellte. Sie scheuchten einen Vogelschwarm auf und verfolgten ihn spielerisch. Das Paarungsspiel war viel köstlicher und hielt sie gebannt. Von ihrem nächtlichen Lauf in Hochstimmung versetzt, fanden sie eine Lichtung mitten im Wald.
Er streckte seinen schlanken Leib im Gras aus, und sie legte sich neben ihn, voll Bewunderung für seine dunkle männliche Schönheit. Sie spürte die beginnende Hitze der Erregung in sich und rollte sich verspielt auf den Rücken, um sich seiner Dominanz in uralter weiblicher Unterwerfung hinzugeben.
Brianna erwachte mit einem Ruck. Sie setzte sich auf und sah, dass das erste Licht der Morgendämmerung durch die offenen Läden drang und den schönen Raum erhellte, der einst ihrer Mutter gehört hatte. Sie spürte den Kiesel auf ihrer Brust, und sofort war die Erinnerung an ihren Traum da. Ein köstliches Kribbeln überlief sie, als ihr weitere Einzelheiten einfielen. »Ich habe geträumt, dass ich Mortimers Wölfin wäre.« Plötzlich errötete sie, und ihr Entzücken wurde zu Enttäuschung, da ihr die Identität des dunklen, dominierenden Wesens bewusst wurde, das sie zu dem kühnen, hemmungslosen Paarungsspiel verführt hatte.
Brianna verdrängte den Traum mit Absicht aus ihren Gedanken. Dies war ihr letzter Morgen auf Hedingham. Nach dem Mittagsmahl würden Vater und Bruder nach Flamstead Castle zurückkehren, während sie und ihre Mutter sich auf den Weg nach Windsor machten.
Brianna hatte Lincoln Robert versprochen, dass sie vor ihrem Aufbruch mit ihm ausreiten würde, um sich ganz privat verabschieden zu können. Vor dem Stall angelangt, hörte sie Gelächter und erkannte die Stimmen als jene ihres Verlobten und seines Bruders Jamie.
»Es gibt einen sicheren Weg, dass Brianna dich anfleht, sie zu heiraten, ehe sie achtzehn wird«, erklärte der junge de Warenne.
»Und der wäre, du Genie?«
»Sie zu schwängern, natürlich.«
Dieser unverblümte Rat, den sie unbeabsichtigt mitgehört hatte, traf Brianna wie ein betäubender Schlag. Ihr erster Impuls war es, den jungen Teufel zu ohrfeigen.
»Genau meine Idee!«, erwiderte Lincoln lachend.
Nicht sehr komisch! Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Stall, doch auf halbem Weg über den Hof ging ihr der Humor der Situation auf. Sie würden sich zu Tode ärgern, wenn sie wüssten, dass ich sie belauscht habe. Sie war nicht so naiv anzunehmen, dass Männer sich nicht über Sex unterhielten; es war vermutlich ihr Lieblingsthema. Nach kurzer Überlegung ging sie zurück in den
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