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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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der Bar ausgestreckt.
    »Wir haben die Körper auf der Bar«, sagte der Alte, der sich umdrehte, als der Amerikaner eintrat.
    Die Männer drängten sich jetzt nicht nach Alkohol, sondern blockierten den Weg, so daß der Doktor sich seitlich zwischen ihnen hindurchzwängen mußte, um zu den Überresten der nächtlichen blinden Fahrt auf nebligen Straßen zu gelangen.
    »Der eine ist Pat Nolan«, flüsterte der Alte. »Zur Zeit arbeitslos. Der andere ist Mister Peevy aus Maynooth, macht meist in Süßigkeiten und Zigaretten.« Und er erhob die Stimme: »Sind sie nun tot, Doc?«
    »Ach, sei still, ja?« Der Arzt glich einem Bildhauer, der sich bemühte, zwei lebensgroße Marmorstatuen auf einmal zu vollenden.
    »Hierher, laßt uns das eine Opfer auf den Fußboden legen!«
    »Der Boden ist ein Grab«, sagte Heber Finn. »Da unten wird er sich den Tod holen. Das beste ist, wir lassen ihn hier oben, wo sich die warme Luft von unserem Gerede sammelt.«
    »Aber ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht von einem solchen Unfall gehört«, sagte der Amerikaner verwirrt. »Sind Sie auch ganz sicher, daß kein einziger Wagen da war? Nur diese beiden Männer auf ihren Fahrrädern?«
    »Nur?« brüllte der alte Mann. »Großer Gott, Mann, ein Bursche, der so richtig arbeitet, bis der Schweiß an ihm runterläuft, kann mit sechzig Kilometern dahinflitzen. Wenn’s schön lange bergab geht, bringt sein Rad es auf neunzig oder fünfundneunzig! Da kommen sie also, diese beiden, ohne Vorder- und Rücklichter…«
    »Ist das nicht verboten?«
    »Zum Teufel mit der Einmischung der Regierung! Hier kommen die beiden also an, ohne Licht, sie rasen heimwärts, von einer Stadt in die andere. Sie trampeln, als wär die Sünde selbst hinter ihnen her! Beide in entgegengesetzter Richtung, aber beide auf der gleichen Straßenseite. Fahr immer auf der falschen Straßenseite, heißt es, das ist sicherer. Aber nun sehen Sie sich diese beiden Jungs an; all das öffentliche Palaver hat sie zugrunde gerichtet. Wieso? Ja, verstehen Sie denn nicht? Der eine erinnerte sich daran, aber der andere nicht. Wär besser, die Beamten hielten überhaupt den Mund! Denn hier liegen die beiden nun im Sterben!«
    »Im Sterben?« Der Amerikaner starrte ihn an.
    »Na, denken Sie doch bloß, Mann! Was steht zwischen zwei rüstigen, vom Teufel besessenen Burschen, die auf der Straße zwischen Kilcock und Maynooth langsausen? Nebel! Nichts als Nebel. Nur der Nebel könnte verhindern, daß ihre Schädel zusammenprallen. Hören Sie, wenn zwei Burschen so an eine Kreuzung kommen, dann ist das wie ein Treffer in der Kegelbahn, wenn die Kegel fliegen! Bums! Und so fliegen die beiden fast zwei Meter hoch, die Köpfe zusammen wie zwei dicke Freunde, sie stieben durch die Luft, die Fahrräder ineinander verkrallt wie zwei Kater. Dann fallen sie runter und liegen da und warten auf den dunklen Engel.«
    »Aber diese Männer werden doch bestimmt nicht…«
    »Oh, nein? Allein im letzten Jahr verging im ganzen Freistaat keine Nacht, ohne daß jemand in einen anderen reinfuhr und einen tödlichen Unfall hatte.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß jedes Jahr über dreihundert irische Radfahrer zusammenprallen und sterben?«
    »Die reine Wahrheit und ein Jammer.«
    »Ich fahre nachts nie mit dem Rad.« Heber Finn blickte nach den Körpern hinüber. »Ich gehe zu Fuß.«
    »Aber auch dann noch überrennen einen die verdammten Fahrräder!« sagte der Alte. »Per Rad oder zu Fuß, irgendein Idiot keucht immer in entgegengesetzter Richtung ins Verderben. Sie spalten einen lieber der Länge nach, als daß sie einem zuwinken und hallo rufen. Ach, was für tüchtige Männer habe ich gekannt, die ruiniert wurden oder halb ruiniert oder noch schlimmer und nachher das ganze Leben lang Kopfschmerzen hatten.« Der Alte schloß die zitternden Lider. »Man könnte fast denken, nicht wahr, daß die Menschen nicht einmal dafür geschaffen sind, mit so empfindlichen Machtinstrumenten umzugehen.«
    »Dreihundert Tote jedes Jahr.« Der Amerikaner schien bestürzt.
    »Und das, ohne die Tausende von verletzten Fußgängern mitzuzählen, die es alle vierzehn Tage gibt, die ihre Fahrräder fluchend für immer ins Moor schieben und Arbeitslosenunterstützung annehmen, um ihre um Haaresbreite dem Tode entkommenen Körper zu retten.«
    »Wir stehen hier und reden!« Der Amerikaner zeigte hilflos auf die Opfer. »Gibt es hier kein Krankenhaus?«
    »In einer mondlosen Nacht«, fuhr Heber Finn fort, »geht man am

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