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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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besten mitten durch die Felder, und zur Hölle mit den gefährlichen Straßen! So habe ich bis in mein fünftes Jahrzehnt überlebt.«
    »Ah…« Die Männer bewegten sich unruhig.
    Der Arzt, der merkte, daß er seine Diagnose allzu lange zurückgehalten hatte und daß seine Zuhörer ihm entglitten, packte jetzt wieder ihre Aufmerksamkeit, indem er sich aufrichtete und tief Luft holte.
    »Also!«
    In der Kneipe wurde es still.
    »Dieser Bursche hier«, der Doktor zeigte auf ihn, »hat Quetschungen, Fleischwunden und zwei Wochen lang quälendes Kopfweh. Was den anderen betrifft…« Hier blickte er eine ganze Weile zu dem bleicheren Mann hinüber, der rot geschminkt und wächsern aussah und reif für die letzte Ölung. »Gehirnerschütterung.«
    » Gehirnerschütterung!«
    Ein leiser Wind erhob sich und verstummte wieder.
    »Er wird es überstehen, wenn wir ihn sofort nach Maynooth in die Klinik bringen. Wer stellt freiwillig seinen Wagen zur Verfügung?«
    Die ganze Gruppe drehte sich wie ein einziger Mann nach dem Amerikaner um. Er spürte, daß seine Situation sich verändert hatte, da er nun in den tiefsten und innersten Kern des Rituals hineingezogen wurde. Er errötete, als er sich an den Platz vor Heber Finns Kneipe erinnerte, wo in diesem Augenblick siebzehn Fahrräder und ein Auto parkten. Er nickte hastig.
    »Hier! Ein Freiwilliger, Jungs! Nun schnell, bringt diesen Burschen – vorsichtig! – an das Vehikel unseres guten Freundes!«
    Die Männer streckten die Hände aus, um den Körper aufzuheben, erstarrten aber, als der Amerikaner hustete. Sie sahen, wie er allen im Kreis herum zuwinkte und sich die hohle Hand vor die Lippen hielt. Sie stutzten. Eine solche Geste war nicht üblich, wenn an der Bar das Bier schäumte.
    »Zur Straße!«
    Jetzt wurde sogar dem käsegesichtigen glücklicheren Opfer, das plötzlich wieder auflebte, unter Flüstern ein Krug in die Hand gedrückt.
    »Hier, Junge, hier… sag uns…«
    »… was passiert ist, he?«
    Dann war der Körper von der Bar verschwunden, der potentielle Leichenschmaus vorbei, der Raum leer, bis auf den Amerikaner, den Doktor, den aufgelebten und zwei sanft vor sich hin dösende Burschen. Draußen hörte man die übrigen, die das traurige Resultat des großen Zusammenstoßes in den Wagen des Freiwilligen hoben.
    Der Doktor sagte: »Trinken Sie aus, Mister…?«
    »McGuire«, sagte der Amerikaner.
    »Bei den Heiligen, er ist Ire!«
    Nein, dachte der Amerikaner halb abwesend und blickte sich benommen in der Kneipe um, sah den inzwischen zu sich gekommenen sitzenden Radfahrer, der darauf wartete, daß die Schar zurückkam und sich um ihn drängte, betrachtete den blutbefleckten Fußboden, die beiden wie Requisiten einer Varieténummer neben der Tür an die Wand gelehnten Räder, die dunkle Nacht, die draußen mit ihrem unwahrscheinlichen Nebel wartete, er hörte auf das Gemurmel und den Rhythmus, das sanfte Gleichmaß dieser Stimmen, jede im Einklang mit der eigenen Kehle und der Umgebung. Nein, dachte der Amerikaner namens McGuire, ich bin wohl ein halber, aber bestimmt kein ganzer Ire…
    »Doktor«, hörte er sich sagen, als er Geld auf die Bar legte, »gibt es hier oft Autounfälle, Zusammenstöße zwischen Leuten, die im Wagen fahren?«
    »Nicht in unserer Stadt!« Der Arzt wies mit zorniger Kopfbewegung nach Osten. »Also wenn Ihnen so was gefällt, dann ist Dublin dafür der richtige Ort!«
    Während sie zusammen durch die Kneipe gingen, faßte der Doktor seinen Arm, als wollte er ihm ein Geheimnis anvertrauen, das sein Schicksal verändern könnte. So gesteuert empfand der Amerikaner das Porterbier als ein Gewicht, das ihn von einer Seite zur anderen zog, während der Doktor ihm ins Ohr hauchte.
    »Hören Sie, McGuire, Sie geben doch zu, daß Sie noch nicht lange in Irland fahren, stimmt’s? Darum passen Sie auf: Wenn Sie nach Maynooth wollen, durch den Nebel und alles, dann fahren Sie am besten schnell! Machen Sie ordentlich Krach! Warum? So vertreiben Sie die Radfahrer und die Kühe zu beiden Seiten der Straße! Wenn Sie langsam fahren, überrollen Sie gleich ein paar Dutzend auf einmal, bevor sie überhaupt wissen, was ihnen geschieht! Und noch etwas: Wenn ein Wagen herankommt, dann schalten Sie ruhig das Licht aus. Die verdammten Lichter haben schon mehr Augen geblendet und mehr Unschuldige zugrunde gerichtet als alles, was man sehen kann, wert ist. Ist das klar? Zwei Dinge: Tempo drauf und Licht aus, wenn Autos auftauchen!«
    Der Amerikaner

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