Medstar 01 - Unter Feuer
erzählt? Stimmt, sie sind standardisiert, ausgebildet und abgehärtet, aber sie sind keine geistlosen Maschinen. Sie bestehen aus demselben Fleisch und demselben Geist wie Sie und ich, Jos. Sie bluten, wenn man sie schneidet, sie leben und sterben, und sie betrauern den Verlust eines Bruders. CT-neun-eins-vier leidet emotional. Das verbirgt er zwar ziemlich gut, aber vor der Macht kann man solche Dinge nicht verbergen.«
Jos sah aus, als hätte sie ihm gerade ins Gesicht geschlagen. »Aber ... aber ...«
»Die Klone werden für den Kampf gezüchtet, Jos. Dafür wurden sie entworfen, und das akzeptieren sie, ohne Fragen zu stellen. Gäbe es den Krieg nicht, würden sie nicht existieren. Ein hartes Leben als Soldat ist besser als überhaupt kein Leben. Aber Sie haben es ja selbst gespürt, sogar ohne die Macht«, sagte sie, jetzt mit sanfterer Stimme. »Ganz gleich, wie stoisch er sich auch geben wollte, er konnte es nicht verbergen. Neun-eins-vier trauert. Er leidet unter dem Verlust seines Kameraden. Seines Bruders.« Jos stand sprachlos da. Sie fühlte, wie Emotionen von ihm ausgingen, wie sie es auch bei CT-914 getan hatten. »Das ist Ihnen noch nie zuvor in den Sinn gekommen, oder?«
»Ich ... es ... natürlich, ich ...« Er gab es auf. Nein, das war ihm nicht in den Sinn gekommen, nicht so jedenfalls. Das konnte sie sehen.
Wie blind jene doch waren, die die Macht nicht kannten. Wie bedauerlich für sie.
»Chirurgen sind berüchtigt für diesen gefühlskalten Umgang mit ihren Patienten«, meinte sie. »Sie neigen dazu, sich Verletzungen anzusehen und sie zu behandeln, ohne sich Gedanken über den ganzen Patienten zu machen, selbst wenn es sich um >richtige< Leute handelt. Die meisten betrachten Klone als nichts weiter als Blasterfutter. Warum sollte das bei Ihnen anders sein?«
Jos schüttelte den Kopf. Noch immer blubberte Verwirrung in seinen Gedanken. Sie fühlte sich schlecht wegen ihm. Einer der Nachteile der Fähigkeit, die Macht zu nutzen, war, dass man zuweilen Dinge erfuhr, mit denen man nicht rechnete, Dinge, die man nicht richtig verstand, ganz zu schweigen davon, dass man imstande gewesen wäre, irgendetwas deswegen zu unternehmen. Wieder und wieder hatte Barriss festgestellt, dass Macht Wissen mit sich brachte und dass das ein ausgesprochen zweifelhafter Segen war.
»Es tut mir leid, Jos. Ich hatte nicht die Absicht...«
»Nein, nein, ist schon gut. Wir sehen uns später.« Er schenkte ihr ein offenkundig aufgesetztes Lächeln und ging davon. Er wirkte, als hätte sich gerade das Gewicht des ganzen Planeten auf seine Schultern gelegt.
Jos ging durch das Lager. Eine klamme, unheilvolle Bö und der unversehens bewölkte Himmel kühlten den schwülen Nachmittag ein wenig ab, als - große Überraschung - ein weiteres Gewitter aufzog. Nach all den Monaten hier war er mittlerweile ziemlich gut darin, diese Dinge zu beurteilen. Er wusste, dass ihm zwei, vielleicht drei Minuten blieben, bevor der Himmel seine Schleusen öffnen würde.
»Jos«, fragte Tolk, »sind Sie in Ordnung?«
Sie war plötzlich aufgetaucht und ging nun neben ihm her. Er war so mit seinem neuen und plötzlich beunruhigenden Wissen beschäftigt gewesen, dass er sie nicht einmal bemerkt hatte.
»Ich? Mir geht's gut.«
»Nein, tut es nicht. Vergessen Sie nicht, wer ich bin. Was ist los?«
Er schüttelte den Kopf. »Mir wurde bloß eine Augenbinde abgenommen, von der ich nicht einmal wusste, dass ich sie trage. Wegen etwas, das ich als selbstverständlich betrachtet habe, über das ich bislang nie wirklich nachgedacht hatte. Ich ... komme mir ziemlich dämlich vor.«
»Nun, ist das bei Ihnen so ungewöhnlich?«
Er schaute sie an, sah ihr Lächeln und wusste ihren Versuch zu schätzen, ihn aufzumuntern. Er brachte selbst ein kleines Lächeln zustande. »Ich wette, bei den Waffenübungen in der Grundausbildung wurden Sie als >Scharfschütze< eingestuft.«
»Eigentlich habe ich es mit dem Impulsgewehr bis zum >Meister< gebracht, bloß beim Handfeuerblaster musste ich mich mit >Scharfschütze< zufriedengeben.«
»Typisch! Ich war in beiden Disziplinen >Einfacher Schütze«, was bedeutet, dass ich die Bordwand eines Sternenzerstörers nicht mal dann treffen würde, wenn ich drinnen säße.«
»Möchten Sie darüber reden?«
Er blieb stehen. Der Regen war jetzt fast da. Sie legte ihre I land auf seine Schulter, und, oh ja, er wollte darüber reden. Später - wenn sie einander festhielten, sich küssten und er glücklicher
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