Medstar 01 - Unter Feuer
jetzt
nicht mehr ganz so strahlend und glorreich wie vorhin, als Den sich zum Essen hingesetzt hatte.
»Das tut mir leid«, sagte Yant.
»Ja«, meinte Den. »Tut es uns das nicht allen?«
19. Kapitel
Manchmal - in diesen Tagen nicht sonderlich häufig - hatte Jos das Gefühl, als könne er einen sterbenden Patienten ins Leben zurückrufen - dass er einen Schwerverletzten durch schiere Willenskraft am Leben halten könne, einfach indem er sich weigerte, dass der Tod ihn für sich beanspruchte.
Natürlich war es hilfreich, wenn der chirurgische Eingriff gut lief. Zuweilen jedoch ging irgendetwas schief, selbst wenn die Operation an sich technisch korrekt verlief und ganz gleich, wie sehr er sich bemühte, ganz gleich, wie sehr er sich auch das Gegenteil wünschte, lief die Lebenszeit eines Patienten ab.
So war es auch mit dem Klonsoldaten, der jetzt auf dem Tisch lag. Alles in allem war die Operation relativ einfach gewesen: Ein Schrapnellsplitter hatte den Herzbeutel eingeschnitten, sodass es zu einer Blutung ins Perikard mit damit einhergehender Herztamponade gekommen war. Allerdings war das Blut abgesaugt worden, sie hatten die Wunden geflickt, und eigentlich hätte das genügen sollen. Stattdessen hatte die Atmung des Soldaten ausgesetzt, das reparierte Herz hatte aufgehört zu schlagen, und sämtliche Bemühungen, den Kreislauf wieder in Gang zu bringen, waren gescheitert. Wäre Jos ein gläubiger Mann gewesen, hätte er gesagt, dass die Essenz seiner Selbst den Mann verlassen hatte.
Doch dies war der letzte Patient, und es war ihm gelungen, fünf andere zu retten, einschließlich einem, der anhaltende massive Verletzungen an drei Organsystemen erlitten hatte, die ersetzt werden mussten: eine mehrfach punktierte und deflationierte Lunge, eine rupturierte Milz und eine ernsthaft eingerissene Niere.
Warum hatte der Mann überlebt und dieser hier war gestorben? Das war vollkommen unerwartet, vollkommen unerklärlich und vollkommen frustrierend.
Er wusste, dass die Medizin keine exakte Wissenschaft war - oft wurden gewisse Dinge durch die Patienten verkompliziert. Man würde meinen, dass genetisch identische Klone mehr oder minder dieselben Reaktionen auf physischen Stress zeigen würden, doch das schien bei diesen beiden mit Sicherheit nicht der Fall gewesen zu sein.
Damals, als Jos noch ein ziemlich grüner Student an der Ärzteschule gewesen war, hatte er regelmäßig ein bamasisches Restaurant besucht, das unter seinen Kommilitonen der letzte Schrei gewesen war. Das Essen war günstig, aber gut, und die Portionen groß. Das Lokal befand sich in Gehweite des Studentenwohnkomplexes und hatte Tag und Nacht geöffnet - perfekt für Studenten. Die bamasische Küche war vielseitig, scharf und eher etwas für Kenner, doch Jos mochte sie. Am Ende einer Mahlzeit wurde jedem Gast als traditioneller kostenloser Nachtisch ein kleiner, süßer, gebackener Brotring gereicht, der etwa die Größe eines Armbands besaß. In die Leckerei eingebacken war ein Einmal-Holoprojektor mit Proteinschaltkreisen. Wenn man den Ring aufbrach, projizierte der Projektor eine bamasische Weisheit, die einige Sekunden lang schimmernd in der Luft hing, bevor sich die organischen Schaltkreise auflösten. Die Medizinstudenten, die wegen der Familienermäßigungen dazu neigten, in der Gruppe zu essen, fanden die Aphorismen amüsant. Häufig brachen sie alle die Brotringe im selben Moment auf und versuchten dann zügig die Homilien zu lesen, bevor sie vergingen. Einige davon waren echte Brüller: »Meide dunkle Gassen in schlechten Gegenden!« Oder: »Reich und unglücklich zu sein ist besser, als bloß unglücklich zu sein.« Oder: »Vorsicht vor lächelnden Politikern ...«
Eines Abends, als Jos von einer langen Reihe von Prüfungen und kniffligen Eingriffen erschöpft gewesen war, die er größtenteils rein nach Gefühl durchgeführt hatte, und sich überwältigt von Dingen fühlte, die er nie zu sehen geglaubt hatte, von denen er niemals auch nur in Erwägung gezogen hatte, dass sie Bestandteil seiner Ausbildung sein könnten, hatte er einen solchen gesüßten Brotring aufgebrochen und darin eine Botschaft gefunden, die für ihn ganz persönlich verfasst worden zu sein schien: »Schmälere deine Erwartungen, um Enttäuschungen zu vermeiden!«
Damals war ihm das wie eine seltsam nützliche, wenn auch irgendwie offensichtliche Weisheit erschienen. Wenn man nichts erwartete, war man auch nicht bekümmert, wenn nichts passierte. Er
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