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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Zirkel, stellte die Entfernung ein und schlug einen Kreis um seine jetzige Position. Selbst ein erfahrener Kletterer wäre nicht weitergekommen. Er nickte befriedigt und griff zum Funkgerät. Er hatte den Suchradius viel zu weit gesteckt. Alle, die jetzt außerhalb dieses Kreises suchten, konnten zurückgepfiffen werden und sich auf das abgezirkelte Gebiet konzentrieren. Das würde die Suche wesentlich effizienter gestalten.
     
    Die Dunkelheit umfing Chris mit beinahe schmerzhafter Intensität. Seine Finger klammerten sich um den metallenen Schaft des Gewehres. Wer gedacht hatte, die Krypta und der darunter liegende Gang seien Orte der Finsternis gewesen, wurde hier eines Besseren belehrt. Es gab Abstufungen im Grad der Dunkelheit, die nicht messbar waren. Sie konnten nur mit dem eigenen subjektiven Empfinden erklärt werden. Er fühlte, wie die Schwärze sein Herz umklammerte und zusammendrückte. In Strombergs Auftrag hatte er schon manche Grabkammer betreten, aber das hier überstieg seine Kräfte. Nirgendwo im Weltall konnte es einen Ort geben, der von der Helligkeit so gemieden wurde. Die Beklemmung und das Gefühl, bei lebendigem Leib in einem Grab eingeschlossen zu sein, steigerten sich zu einer wahren Panikattacke.
    »Licht«, keuchte er. Das Echo seiner Stimme hallte durch den Raum. Irene, die wenige Sekunden nach ihm die Gruft betreten hatte, drehte das Gaslicht auf. Obwohl der Schein der Lampe nicht in der Lage war, die Dunkelheit völlig zu vertreiben, löste sich die Beklemmung in seiner Brust und wich einem ehrfurchtsvollen Staunen. Der Widerschein der Flamme tanzte über die Wände und wurde hundertfach von spiegelnden Obsidianflächen zurückgeworfen.
    »Seht euch das an!« Seine Worte, sosehr sie auch von Bewunderung zeugten, klangen plump und missgestaltet angesichts der jahrtausendealten Schönheit des Tempels. Er hatte das Gefühl, sich an einem verbotenen Ort aufzuhalten.
    Inmitten der Halle, deren Grundriss etwa sechs mal sechs Meter betrug, befanden sich drei Medusen, die ihre rätselhaften Augen auf den Betrachter richteten. Die mittlere der drei unterschied sich maßgeblich von den beiden anderen. Sie war nicht nur größer und imposanter, sie wurde auch als Einzige von einer Vielzahl steinerner Menschen umringt, die ihre Arme bittend zu ihr emporreckten. In einer beinahe gütig scheinenden Geste breitete das Wesen seine Schlangenarme über ihnen aus. Die dargestellten Menschen wirkten im Kontrast zu der Medusa unvollkommen und hilflos. Entsprechend den Abbildungen der Jägerperiode, die sie im Tassili N’Ajjer gesehen hatten, waren die Gliedmaßen verdreht und unproportioniert dargestellt. Mit über den Köpfen zusammengeschlagenen Händen und weit aufgerissenen Mündern knieten sie um das Objekt ihrer Verehrung. Der Medusenkopf allein, ohne die Schlangenarme, wies einen Durchmesser von gut einem Meter auf und entsprach damit jenen, die sie bereits gefunden hatten. Doch was sich darunter befand, unterschied sie deutlich von ihnen. Diese Medusa wie auch die beiden anderen besaß einen Körper.
    Der Anblick war so verblüffend, dass Chris es erst beim zweiten Blick bemerkte. Die hässlichen Köpfe thronten auf üppigen Frauenleibern mit sechs Brüsten, die paarweise übereinander angeordnet waren. Die Arme waren über und über mit Zeichen und Ornamenten bedeckt, ebenso wie die massigen Schenkel, auf denen der gedrungene Leib ruhte.
    »Anethot, Imlaran, Farass!«
    Hannahs Stimme erklang hell und klar durch die steinerne Halle. Chris zuckte zusammen, als er ihre Stimme so unvermutet hörte. »Was hast du gesagt?«
    »Die dreigeteilte Göttin. Warum bin ich jetzt erst darauf gekommen?« Sie sprach die Worte zu sich selbst, hörte aber auf, als sie merkte, dass die anderen sie mit besorgten Gesichtern anblickten.
    »Entschuldigt. Mir war, als hätte ich plötzlich einen Geistesblitz verspürt. Die dreigeteilte Göttin ist ein Motiv, das bisher nur an einem einzigen Ort in der Türkei gefunden wurde. Man wusste nie, woher sie stammte. Bis jetzt. Ich will hier nicht vorgreifen, aber ich glaube, dass wir einer ganz heißen Sache auf der Spur sind. Wenn meine Vermutung richtig ist, dann sind wir auf ein entscheidendes Puzzleteil der Archäologie gestoßen.«
    »Was meinst du damit?«
    »Das möchte ich lieber noch nicht sagen. Nicht, ehe ich weitere Fakten habe.«
    Chris nickte. Er hätte zwar gern mehr erfahren, aber er spürte, dass Hannah unsicher war. Sie war zu sehr Wissenschaftlerin, um sich

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