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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Kind. Dieser Junge war jemandes Vater: oder das hatte jedenfalls Mari Carmen behauptet. Eine Mexikanerin, sie hatte Jacques zweitausend Dollar dafür bezahlt, daß er sie geheiratet hatte. Einen Tausender vor, einen nach Unterzeichnung aller Papiere,
    »Und wo hatte sie soviel Geld her?«
    Er hatte auf die Straße gesehen. Hatte die Frage mit der Hand weggewischt,
    »Was weiß denn ich, von irgendwelchen Kerlen. Von irgendwelchen Sachen, die sie gemacht hat, mir doch egal«,
    War in eine Seitenstraße eingebogen. Hatte den Wagen vor einem Holzhaus geparkt. Einem altersschiefen Häuschen, tief in wucherndem Grün, durch das sich Wäscheleinen schlangen mit verwaschenen T-Shirts, Shorts, Jacques faßte sie am Arm, als sie aussteigen wollte.
    »Warte. Ich muß dir noch was sagen. Nenn mich nicht Jacques, solange wir hier sind. Sag lieber Flaco, okay? So haben sie gesagt, als ich klein war«,
    »Aber warum? Was soll das denn, Jacques«,
    Er zog die Brauen zusammen. Starrte auf das Häuschen seiner Tante,
    »Weil sie es nun mal nicht leiden kann, darum. Weil sie es nicht kapieren will, daß ich Franzose bin. Daß ein Franzose meine Mutter gezeugt hat, nicht der miese Indianer, der ihr eigener Vater war, na, ist auch egal. Ansonsten ist sie ziemlich in Ordnung. Nenn mich nur einfach Flaco, solange wir da sind«,
    Die Veranda sackte unter den Schritten ein wie ein durchgesessenes Sofa. Sina sah einen Korbstuhl, einen blaugestrichenen Tisch, von dem die Farbe abblätterte, Jacques stieß die Fliegentür auf. Drinnen war es stickig, fast dunkel. Die Tante kam aus der Küche. Umarmte Jacques, sprach spanisch zu ihm, ihre Zähne waren sehr schlecht. Die Fingernägel waren rissig und grau, das Kind lag in einem Hinterzimmer auf einem Bett. Es mochte etwa ein dreiviertel Jahr alt sein. Es schlief. Lag auf der Seite, gekrümmt wie eine Erdnuß, es hatte einen Schopf schwarzen Haars. Lächerlich viel Haar für ein so kleines Gesicht, Schweißperlen standen auf seiner Oberlippe. Die Tante deckte in der Küche den Tisch. Es war ein Resopaltisch, sie saßen auf Holzhockern, die selbstgebaut aussahen, und aßen Guacamole. Aßen kalte Tortillas, heiße Bohnen von Plastiktellern in Schockfarben, die Tante redete auf Jacques ein.
    Auf Flaco Flacito, das Kind hieß Maurice. Maurice, Maurice, die Tante erwähnte den Namen wieder und wieder, hatte Sina ihn nicht schon einmal gehört? In einem ganz anderen Zusammenhang, auf englisch fragte die Tante Sina, woher sie sei. Wohin sie wolle, wie ihr Amerika gefiele, als das Kind nebenan zu quengeln begann,sprang Jacques sofort auf. Kam einen Moment später in die Küche getanzt, das Kind auf dem Arm. Das an seiner Schulter lehnte, es war sehr dünn. Großäugig, die Tante stand auf der Veranda, während sie durch den Vorgarten gingen. Sah ihnen nach, als sie losfuhren: nach Coral Springs. Zu dem Haus von Jacques’ Freund,
    »Billy. Er heißt Billy Todd, früher war er mal ein bißchen auf Koks. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt ist er clean, soweit ich weiß, er ist ein echt netter Typ. Ein Freund, total korrekt, es war immer okay, mit ihm was zu machen. Geschäfte oder so, früher mußte ich ihm ja manchmal was besorgen. Als er noch auf Koks war, aber jetzt hat er einen richtigen Job. Baut Mikrowellen und so was in Küchen ein, er ist aus dem Norden. Aus Vermont, seine Familie lebt noch da oben. Deswegen ist er ja jetzt da hingeflogen«,
    Das Baby schlief. Sina sah aus dem Fenster, wo war die Mutter des Kindes? Mari Carmen, Sina wollte nicht nach ihr fragen. Sie fuhren auf die Seven Mile Bridge.
    Fuhren hinein in den leeren Raum voll blaugoldenem Mittag, Sina hielt den Arm aus dem Fenster. Lenkte mit dem Arm noch mehr Wind in den Wagen hinein, ließ sich die Zügel schießen: lachte laut auf, er fragte sie nicht nach dem Grund. Lächelte ihr aber zu, irgendwo auf der Brücke: während der Wind leeren Raum in das Auto spülte, kurz vor Marathon Key fragte sie ihn dann doch.
    »Und wieso habt ihr es eigentlich bekommen, das Kind?« Fragte angelegentlich, während sie jetzt von der Brücke herunterkamen, »Ich meine, du und Mari Carmen. Wenn ihr euch gar nicht geliebt habt«,
    Jacques schwieg einen Moment. Schnaubte dann durch die Nase, sagte,
    »Wir haben gevögelt.« Der Ton absichtlich brutal, er sagte: »Mann, Sina, sie war eben da. Also habe ich sie auch gevögelt«,
    Sie nickte. Sah aus dem Fenster: die Einkaufszentren von Marathon Key. Publix Supermarket, Dixie Food Store. Hi-rise Condos.

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