Meer ohne Strand
Hotelzimmer, lachte er plötzlich auf, leise. Schüttelte dann den Kopf über sich, nahm das Bier mit hinüber zum Bett. Las liegend das Etikett, als stünde etwas Wichtiges darauf: Miller light . Am nächsten Tag sprach sie zu ihm.
Er war noch im Mantel. Saß auf seinem Stuhl, hielt ihre Hand in der seinen, um sie zu begrüßen,
»Good morning«,
Wartete auf den Druck ihrer Hand. Auf einen Hauch ihrer enormen Kraft, ihre Hand blieb schlaff. Unter seinen Fingern zuckte ihr Puls. Er spürte seinen eigenen Puls, in Hals und Schläfen, die Enttäuschung war eine Schwächewelle. Die in den Beinen begann, langsam durch den Solarplexus hinaufstieg, er legte ihre Hand auf das Bett. Wartete darauf, daß die Welle der Schwäche abebbte, sie sah ihn nicht an.
Sah zur Decke oder nirgendwohin, hatte sie Angst? Morgen würde sie operiert werden, er hatte mit Dr. Mathai gesprochen. Hatte ihn gebeten, sein Bestes zu tun, sich dann erboten, die Kosten der Operation zu übernehmen, Dr. Mathai hatte abgewunken: Es gab irgendeinen Fonds für dergleichen, oder jedenfalls glaubte Robert, so etwas verstanden zu haben, er hatte eine Zeitung dabei.
Begann, darin zu blättern, las Überschriften oder betrachtete ihre Buchstaben, gegen Mittag ging er für eine halbe Stunde hinaus, um in dem Diner um die Ecke etwas zu essen. Als er zurückkam, weinte sie.
Sie war allein im Zimmer. Hatte nicht die Schwester gerufen, sie weinte vollkommen lautlos, mit weit offenen Augen. Nun konnte er es sehen: Sie war angststarr. Angstgeschüttelt,er nahm ihre Hand. Nahm ihre Hand in beide Hände, begann zu murmeln,
»Ist ja gut, ist ja alles gut«,
Aber das war natürlich Unsinn. Ihr Gesicht war wie gefroren. Die Augen blicklos, was sah sie, mit diesen Augen? Er wußte, er konnte sie nicht trösten. Konnte nichts Tröstendes finden in der fremden Sprache, er sagte,
»Everything will be fine. You’ll be fine, die Operation wird gut verlaufen, ich bin ganz sicher«,
Aber er wußte ja nicht, was er redete: War es denn überhaupt die Operation, vor der sie Angst hatte? Was hatte sie denn mit ihrem Leben gemacht? So daß jemand versucht hatte, sie totzuschlagen mit einem Baseballschläger, die Gegenwart war nun ausgegeben, die Robert gesammelt hatte für sie.
Die Tage dieser Gegenwart: die er heruntergezählt hatte bis zum Tag Null, jetzt kehrte mit einem Ruck die Zeit zurück, was erwartete sie denn draußen? Oder wer erwartete sie, ein Junge hatte in einer Kurve gestanden. War dann in der Nacht verschwunden, ein Kind auf dem Arm, sie flüsterte,
Papa,
Redete. Sprach, mit rauher Stimme, er hörte, was sie sagte,
Papa, mein Papa soll kommen,
Das hatte sie gesagt. Das Begreifen, als es endlich kam, war sehr still. Stieg durch den Magen hinauf in seine Kehle: Sie sprach nun.
Sprach deutsch. Flüsterte deutsch, keuchte Worte in seiner eigenen Sprache, er ließ ihre Hand los. Sank gegen die Lehne seines Stuhls. Beugte sich dann wieder vor, sie flüsterte,
»Jacques«,
Erinnerte sich jetzt: oder brach endlich zusammen. Konnte die Verweigerung nicht länger aufrechterhalten: die Verweigerung ihrer eigenen Sprache, in der die Erinnerung war,
»Jacques, Jacques soll kommen«,
Das sagte sie. Und wer war Jacques? Ihr Mann vielleicht. Ihr Freund, ihr Geliebter, ihr Bruder, aber er wußte es schon. Wußte genau, wer Jacques war, nun also war es so weit. Nun endlich kam sie zu ihm: durch die Nacht, die reglos war vor Frost,
»Das Baby das Baby«,
Nun brachte sie ihm den Jungen: der durch die Nacht taumelte, im Arm ein wimmerndes Bündel, Robert hielt den Atem an: um alles zu hören, was sie ihm sagte, die Eisprinzessin verstummte. Starrte zur Decke hinauf, Robert ergriff ihre Hand. Flüsterte,
»Bitte!«
Drückte ihre Hand. Hielt an sich, um sie nicht zu schütteln, flüsterte,
»Bitte! Bitte sprich weiter. Sprich jetzt, zu mir«,
Aber sie schwieg. Sie sah ihn nicht einmal an,
»Wer seid ihr? Wer bist du, bitte! Der Junge«,
War zurück in die Nacht gegangen. War unerreichbar, die Augen riesig. Leer, in einem grauen Gesicht.
VI
Jacques fuhr. Der Chevy brauste auf Miami zu, über den Overseas Highway, sie saß neben ihm auf dem Beifahrersitz. Das Baby schlief. Es lag hinten in seinem Kindersitz, sie waren schon kurz vor Big Pine Key gewesen, als er gesagt hatte: »Wir müssen erst noch ein Baby holen. Mein Baby, es ist hier auf Big Pine Key. Bei meiner Tante. Ich lasse es immer bei meiner Tante, wenn ich in Key West bin«,
Jacques hatte also ein
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