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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Wille vielleicht oder etwas anderes, für das er keinen Namen hatte, die Erektion kam dann überwältigend plötzlich. Schmerzte aber, wie etwas zu lange Aufgeschobenes. Wie die Teenager-Pein nach ausgedehntem Gerangel auf irgendeiner Partykeller-Matratze, das Heilmittel dafür stand noch zur Verfügung. Er preßte, rieb. Zwang sich, dabei an nichts zu denken. Bilderlos zu erledigen, was zu erledigen war: ergebnisorientiert, einmal erzählte sie ihm von dem Kugelschreiberstrich auf der Karte. Sagte,
    Du mußt Geduld haben, bitte. Ich bemühe mich ja. Ich fange immer wieder von vorn an. Ich fahre immer wieder los, jeden Tag,
    Auf der US-i, der Interstate 95. Auf genau den Straßen, über die Robert selbst vor fast einem Jahr nach Provincetown gekommen war, sie fuhr von Florida nach Vermont, dann zu ihm ans Cape: Sie fuhr direkt auf ihn zu. Kam ihm immer näher, mit jedem Tag, einmal fragte er sie: »Bist du verheiratet?«
    Sie sagte: »Nein.«

VIII
    Sie hatte ihre Schuhe bekommen. Turnschuhe, sie hatte einen bitteren Scherz gemacht: Die ersten Maßschuhe meines Lebens,
    Der Gipsabdruck, nach dem man sie angefertigt hatte, lag unter einem Handtuch in der Zimmerecke. Die Wunden waren alle geheilt. Ihr Fuß war ein Strumpf mit nach innen gestülpten Zehen. Um die Narbe kräuselte sich das Gewebe: schlampig eingenähtes Mantelfutter, sie sollte das Bein bewegen. Sollte es vorsichtig zu belasten beginnen: Das hatte der Arzt gesagt,
    Und noch etwas, Ms. Fischer. Die Schmerzmittel. Sie müssen die Schmerzmittel allmählich absetzen. Sie dürften keine Schmerzen mehr haben, der Unfall ist über zwei Monate her,
    Aber die Schmerzen waren immer noch da. Ließen sich nicht wegzaubern mit Modalverben: müßten, sollten, manchmal war es eine Qual: ihren Qualen lauschen zu müssen, Robert sagte,
    »Komm. Laß uns nach Provincetown fahren. Damit wir endlich einmal deine Schuhe ausführen«,
    Die sie noch nie getragen hatte, er zog sie ihr an. Sie griff nach ihren Krücken: fügte sich, wortlos. Er konnte sehen, daß sie lieber zu Hause geblieben wäre.
    Während der kurzen Fahrt schwiegen sie. Waren noch nie zusammen in der Stadt gewesen: Sie hatte das Haus nur verlassen, um den Arzt aufzusuchen, Robert war froh, daß man um diese Jahreszeit noch relativ leicht einen Parkplatz fand. Stellte den Wagen beim Fishermen’s Wharf ab, sie sah aus dem Fenster hinaus auf den langen Seesteg. Den sie noch nie gesehen hatte, sie betrachtete ihn: sein zu schwarzem Silber verwittertes Holz, sie saß still.
    Erkannte den Steg. Wandte den Kopf, erkannte mit einmal eine Häuserfassade. Erkannte eine Neonreklame, alles war vertraut. War zugleich vollkommen unbekannt: so daß es ihr schien, als wäre sie nicht an einem fremden Ort, sondern in einer anderen Ära. Ein Science-fiction-Dornröschen: das irgendwann im Lauf der Krankheit in der Zeit verlorengegangen, nun in einem anderen Jahrzehnt wieder erwacht war, lange vor oder sehr lange nach dem Überfall, die Schmerzen kehrten jäh zurück, als sie sich bewegte.
    Aber einen Moment lang waren sie nicht dagewesen. Einen Moment lang war ihr das Unvorstellbare gelungen: den Schmerz zu vergessen, sie sagte: »Robert. Ich bin so froh, daß du mich mitgenommen hast, Robert«,
    Er half ihr aus dem Wagen. Murmelte etwas,
    »Wir können jeden Tag herkommen, wenn du willst. Wir können überall hinfahren«,
    Paßte seine Schritte den ihren an. Wiederholte sich dabei ihre Worte. Spielte sie sich vor: ein Lied. Die Titelmelodie zu einem privaten Film: die einer morgens im Büro vor sich hin summt, wieder und wieder,
    Ich bin so froh, Robert. Daß du mich mitgenommen hast, Robert,
    Sie hörte die Urversion dieses Liedes. Einen Gassenhauer: Ich freue mich, Jacques. Ich freue mich so, daß du mir jetzt Amerika zeigst,
    Die Trauer flutete wieder zurück, dreckige Brühe. Schwemmte sie auf die Cafeterrasse am Hafen: wo Jeremy saß.
    Der Besitzer des Zen-Ladens, er sprang auf, als er Robert erkannte. Schob für Sina einen Stuhl zurecht, holte einen zweiten Stuhl, damit sie ihr Bein hochlegen konnte, er war ein kleiner Mann. War ungefähr in Roberts Alter, sein Haar war so kurz geschnitten, daß er fast kahlköpfig wirkte. Er lächelte Sina an,
    »Endlich lerne ich Sie mal kennen. Endlich kann ich mich mal bei Ihnen bedanken, Ihr Interesse an Kristallen hat mich über Wasser gehalten, in dieser harten touristenarmen Zeit«,
    Sie fand keine Antwort: hatte vielleicht ihr Englisch vergessen. Hatte die Fähigkeit zum

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