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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Sonne. Erhob sich. Hinkte wortlos an Robert vorbei, der Junge am Strand stand einfach da. Sah zu ihr hinauf, legte dann den Kopf schief. Sagte,
    »Tolle Frisur, Sina. Wie ein ungekämmter Seehund«,
    Grinste hoffnungsvoll. Ging langsam auf die Stiege zu, sie sagte,
    »Bleib stehen. Bleib, wo du bist, komm bloß nicht rauf. Wo sind deine Messer, Jacques? Hast du Messer bei dir oder sonst eine Waffe«,
    Er sagte,
    »Hey. Hey, was ist los, bist du sauer auf mich? Bist du sauer, daß ich mich nicht gemeldet habe, oder was, ich erkläre es dir«,
    »Warst du es«, sagte Sina. »Hast du mir das angetan«,
    Jacques blieb unten an der Stiege stehen. Sagte,
    »O Scheiße.« Setzte einen Fuß auf die Stiege, sagte, »Das ist doch nicht dein Ernst. Du denkst das doch nicht im Ernst«,
    »Du hättest mich umbringen können«, sagte sie. »Duweißt es genau, du hast es gesagt: Es gibt nur einen Grund, warum man niemanden umbringt. Weil man gut ist, vielleicht bist du nicht gut. Vielleicht bist du ein Mistkerl wie dein Vater, du bist wie dein Vater! Das hast du selbst gesagt«,
    Jacques setzte sich auf die unterste Stufe. Sah in den Sand zu seinen Füßen, Sina über sich: hinkende Rachegöttin vor hitzebleichem Himmel, Jacques sah zu ihr hinauf. Nickte. Sagte,
    »Aber er hat mich nicht umgebracht, mein Vater. Das war doch der Punkt. Er hat es nicht gemacht, das war genau der Punkt«,
    Sie starrte ihn an. Sagte dann,
    »Wo ist Maurice.«
    »Im Auto«, sagte Jacques. »Er schläft. Ich wollte erst mal allein kommen, soll ich ihn holen?«
    Sie nickte. Er ging ums Haus herum. Verschwand um die Ecke, Robert durchquerte das Wohnzimmer.
    Ging am Kamin vorbei, am Sofa. Ging an ihrem Zimmer vorbei. Ging an der Treppe vorbei mit ihrem Geländer, durchquerte die Küche: in der er mit Sina gekocht hatte, ging vorbei am Bad: in dem er sie gestützt hatte, wenn sie sich wusch, er öffnete die Eingangstür.
    Hielt ihm die Tür auf, dem anderen.
    Der die Stufen heraufkam, ein schlafendes Kind auf dem Arm. Eine Tüte in der Hand: die er Robert hinhielt, Robert griff danach. Der Junge sagte,
    »Danke. Vielen Dank, Mann, daß du sie gerettet hast, hier ist dein Pullover. Er ist sauber, ich habe ihn gewaschen, danke, daß du uns alle gerettet hast. Dein Pullover ist in der Tüte da. Und deine Jacke.«
    Das Kind saß auf ihrem Schoß. Faßte in ihr Gesicht. Griff glucksend nach Nase Mund Tränen mit tapsigen Kleinkindpfoten, Robert hatte sich abgewandt. Kannte es zu gut, dieses lachendweinende Gesicht: dessen Strahlen nun ein fremdes Kind beschienen, Jacques sagte,
    »Er ist schon ein Jahr alt, Sina. Er hat Geburtstag gehabt, während du fort warst«,
    Sie sah auf, das Strahlen erlosch. Temperatursturz, plötzlicher Wintereinbruch, sie sagte,
    »Setz dich. Setz dich dort drüben hin, Jacques, erst erzählst du. Dann sehen wir weiter«,
    Er gehorchte. Sie sah eine Narbe an seinem Arm. Eine Brandnarbe, neu. Hellrot, die Haut darüber knittriges Seidenpapier, sie war entschlossen, ihn nicht danach zu fragen. Hatte ihm nichts zu trinken gebracht. Hatte Saft geholt, aber nur ein Glas für das Kind, Jacques’ Nase war schief. Das dünne Profil für immer zerstört, aber damit hatte sie doch rechnen müssen, Die Nase des Jungen war blutig, offensichtlich gebrochen, er sagte,
    »Wie geht es dir denn jetzt, Sina. Sag mir doch wenigstens, wie es dir geht.«
    Sie sagte: »Gut. Es geht mir gut, Jacques«,
    Noch widerstand sie. Sah an Jacques vorbei, um die Nase nicht mehr zu sehen: Boxervisage, sagte,
    »Also, wer war es. Wenn du es nicht warst, wer war es dann«,
    Er sagte: »Ein Fremder.« Räusperte sich, sah zu Boden, »Freddy. So heißt er. Freddy«,
    Sie wandte sich ab. Sah eine Weile lang übers Meer, Robert kannte die Augen. Die Schmerzschattenaugen, sie wiederholte den Namen. Probierte ihn aus, ungläubig,
    »Freddy. So also heißt er«,
    Jacques sagte: »Soll ich es jetzt erzählen, Sina?«
    Und so hatten seine Geschichten immer begonnen. In einer Kneipe, auf einer Decke am Strand. Am Tisch eines Wohnmobils, im Sitz eines uralten Chevy, Soll ich dir was erzählen, Sina? Soll ich was erzählen von früher,
    Sie sagte: »Ja.«
    Er nickte. Sah übers Meer. Kniff die Augen zusammen, sah in die Vergangenheit: durch die zugenagelten Fenster eines Take out, durch ein regenüberströmtes Wohnmobilfenster. Durch die Geländerstäbe des Sonnendecks von Gabriel Phillips’ Haus auf Cape Cod, er sagte,
    »Es war am 27. Februar. Am Tag nach dem Besuch bei dem

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