Meeres-Braut
ihr fabelhaftes Fleisch ziehen ließ. Nichts zu machen: Sie würde den Guten Magier aufsuchen und ihm eine Frage stellen müssen. Das bedeutete, ihm einen Jahresdienst abzuleisten, was bestimmt entsetzlich langweilig werden würde, doch wenn er ihr einen geeigneten Ehemann verschaffte, war es die Sache vielleicht wert.
Nur keine Zeit vergeuden. Mela sammelte die wenigen nützlichen Zauber zusammen, die sie bei ihren Erforschungen der Randgebiete des Meers aufgelesen hatte, und stopfte sie in ihre unsichtbare Börse. Dann schwamm sie aus der Höhle hervor, der Meeresoberfläche entgegen. Sie machte sich keine Sorgen darum, daß das Feuer sich in ihrer Abwesenheit ausbreiten könnte, weil Feuer unter Wasser nämlich ohne die magische Anwesenheit der Meeresmenschen überhaupt nicht brennen konnte. Nur wenn ein anderer Meermann oder eine Meerfrau vorbeikäme, würde es wieder losflackern, doch es würde niemand in ihre privaten Gemächer eindringen.
Melas Unterseehöhle befand sich in der Nähe der Insel der Illusionen, was ein purer Zufall war, und so erblickte sie beim Auftauchen dieses Eiland, das einst wie das prachtvollste aller Gebiete erschienen war. Ihr Haar färbte sich gelb, als sie an die Oberfläche stieß. Sie erinnerte sich wieder daran, wie sie Prinz Dolph hier eingefangen hatte, trotz der Einwände seiner skelettalen Gefährten Mark und Grazi Knochen. Am Ende hatten sie sich doch als ganz nette Leute herausgestellt, sie hatten ihr sogar bei der Beschaffung ihrer Opale geholfen. Mela fragte sich, wie es ihnen wohl gehen mochte; es war ein recht angenehmes, wenn auch reichlich ausgemergeltes Paar gewesen.
Auf der Insel der Illusionen gab es nicht mehr viel Illusion, weil die Zauberin der Illusion, die Königin a. D. sie schon vor langer Zeit verlassen hatte. Doch hallte noch immer ein schwacher Abglanz großen Pomps dort nach, erinnerte an die Größe vergangener Vorstellungen. Vielleicht würde ein anderer großer Illusionist sie eines Tages wieder bewohnen, dann würde einmal mehr niemand von ihrer alltäglichen Wirklichkeit erfahren.
Mela schwamm direkt auf das Ufer zu, dort wo die Spalte ins östliche Meer mündete. Sie näherte sich dem kleinen Strand so weit sie konnte, ohne das Wasser zu verlassen. Und dann, als der Sand drohte, ihre Samthaut zu schmirgeln, setzte sie sich auf, den Schwanz vor sich eingeklappt. Sie konzentrierte sich, und ihre wunderschönen Flossen verwandelten sich in ungeschlachte Klumpen, während der größte Teil ihres Schwanzes eine kränkliche Rosafärbung annahm. Dann erschien darin eine Längsfalte, die immer schärfer wurde, bis sich der gesamte Schwanz schließlich in zwei unvorteilhafte Gliedmaßen teilte.
Mela bog diese Gliedmaßen an ihren verknöcherten Knien und stellte die knochigen Füße fest auf den Sand. Dann erhob sie sich, bis sie etwas wacklig auf diesen unpraktischen Beinen stand. Es war schon lange her, seit sie das letztemal an Land gegangen war, und es entsprach nicht gerade ihrer Vorstellung von einem Vergnügen, doch es ging nicht anders. Der Gute Magier lebte an Land und würde niemals aufs Meer hinauskommen.
Nachdem sie ihr Gleichgewicht stabilisiert hatte, watete sie auf den trockenen Sand hinaus. Ihre neuen Beine würden noch kräftiger werden, je mehr sie sich daran gewöhnte, und ihr Gleichgewichtssinn prägte sich zunehmend aus. Sie konnte es ja, sie war nur ein wenig aus der Übung.
Doch als sie das Wasser verließ, wurde der Sand immer heißer, verbrannte ihr die Füße, während kleine spitze Steine versuchten, sich in ihre Sohlen zu bohren. Ihre Extremitäten mochten zwar häßlich sein, sie waren aber auch empfindlich. Glücklicherweise wußte sie, wo es einen Pantoffelstrauch gab, denn sie hatte ihn vom Wasser aus bereits erblickt. Mela humpelte darauf zu und pflückte zwei Pantoffeln. Natürlich paßten sie hervorragend und schützten ihre Füße, so daß sie nunmehr ohne Unbequemlichkeit weitergehen konnte.
Sie gelangte an den Rand der Spalte, wo der Weg immer steiler wurde. Jetzt mußte sie klettern, doch das konnte sie ebenfalls, und so kraxelte sie über die Felsen und Hänge, ohne daß es ihr allzu viele Schwierigkeiten bereitete. Sie wußte, daß sie die Spalte aus zwei Gründen sofort wieder verlassen mußte. Erstens wurden die Wände weiter innen noch sehr viel steiler – das wußte jeder! –, und zum zweiten gab es ja noch den Spaltendrachen. Davon wußten nur wenige Leute, denn die meisten, die dem Drachen begegnet
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