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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Himmels. Schneeflocken tanzten umher, verhülltenKlippen, Meer und Berge. Finn hatte sich nicht vom Fleck gerührt, die Bücher lagen auf der Erde und eins aufgeklappt auf der Sessellehne. Sie hatte hier gesessen. Sie hatte mit ihm geredet und war vor seinen Augen ins Wasser gegangen. Mit zitternden Fingern hob er das aufgeklappte Buch auf und las den Titel.
    Jules Vernes Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
.
    „Wer bist du?“, flüsterte er. „Was bist du?“
    Wieder und wieder stellte er der Stille diese Frage, denn er wusste, dass die Antwort auch die Frage nach seinem Dasein erklären würde. Seine Visionen, sein Drängen und Sehnen. Schleichend verwandelte sich die Hoffnung, nur zu träumen, in die Angst, aufzuwachen.

Maya starrte auf die Karte mit den Küstenabschnitten, in die sie im Laufe des Tages diverse Expeditionsziele eingezeichnet hatte. Kläglich versuchte sie, ihr Gehirn in Schwung zu halten. Den ersten Teil der Reise hatte sie durchgeplant. Fehlte noch der zweite.
    „Verdammt.“ Sie schnupperte nach dem penetranten, äußerst unangenehmen Geruch, der seit zehn Minuten unter der Bürotür hindurchquoll. „So kann ich mich nicht konzentrieren.“ Sie ging zur Tür, lugte hinaus und warf einen Blick nach links und rechts. Nichts, nur leere Gänge.
    „Hat hier einer Durchfall?“, rief sie in die summende Stille hinein. „Oder gab es eine Lieferung Tiefseeschlamm?“
    „Nein“, kam es von irgendwoher. „Tim kocht Hühnersuppe. Für das Abendessen.“
    „Okay, dann streicht mich bitte von der Liste.“
    Es sah ganz danach aus, als würde dieser Tag nicht nennenswert besser werden. Sie schenkte sich die siebte Tasse Kaffee ein, in der Hoffnung auf etwas Energiezufuhr. Doch der Pegel dümpelte nach wie vor am unteren Ende der Skala herum. Vermutlich half nur noch eine Auszeit. Sie schüttete ein paar Tabletten ins Aquarium. Scully und Mulder krochen aus ihrer Kokosnussschale und stierten, während sie das Futter mit begeisterter Brutalität zerlegten, argwöhnisch auf den Fischschwarm.
    „Wagt es nicht, wieder meine Guppys zu zerteilen.“ Maya streckte und reckte sich, vollführte aus reiner Verzweiflung ein paar dieser albernen Übungen, auf die die Studentinnen schworen, und fühlte sich nach Vollendung derselben nicht im Geringsten munterer. Wie in aller Welt sollte sie so rechtzeitig fertig werden? „Disziplin“, beschwor sie sich. „Nur noch ein paar Seiten. Komm schon. Das kriegst du auch noch hin.“
    Kaum saß sie wieder im Sessel und richtete ihren Blick auf den Bildschirm, verwandelte sich die Karte vor ihren Augen in ein psychedelisches Muster. Es half nichts. Sie brauchte eine Pause. Ja, ein winzig kleines Nickerchen würde helfen. Also verschränkte sie die Arme auf dem Tisch und legte den Kopf darauf. Nur ganz kurz. Fünf Minuten, allerhöchstens.
    Sie fand sich in einem Kanu wieder. An ihr glitt die Küste von Britisch Kolumbien vorbei. Wälder, Berge und von verkrüppelten Tannen bewachsene Inselchen. Hier war sie das letzte Mal mit Opa White Elk glücklich gewesen. Hier hatte sie mit ihm am Lagerfeuer gesessen, hatte im ersten Morgengrauen mit ihm geangelt und seinen Geschichten gelauscht, wenn nachts im Blockhaus der Kamin prasselte. Er hatte ihr von den Legenden und Sagen ihrer Vorfahren erzählt. Mythen über unglückliche Liebende, stolze Krieger und fantastische Wesen, die so riesenhaft waren, dass aus ihrem Blut Meere entstanden und aus ihren sterbenden Körpern Gebirge. Während dieser zwei Wochen waren sie glücklich gewesen, obwohl das Wissen um den Ablauf ihrer gemeinsamen Zeit bereits über ihnen hing.
    Die Dämmerung verwandelte das Meer in fließendes Kupfer. Pelz schmiegte sich an ihren nackten Körper, in seiner Weichheit ein Gegenpol zu dem Schmerz, der an ihrer Seite aufflammte, sobald sie sich bewegte. Es war der Schmerz eines Messerstichs. Sie wusste, dass sie in diesem Kanu lag, um zu sterben. Es würde sie hinaus auf den Ozean bringen, dorthin, wo ihre letzte Reise begann. Man hatte ihr Federn, Muscheln und Knochen mitgegeben. Sie sah Biberfelle, Pfeile, bestickte Lederbeutel und den Schädel eines Hirsches. Frieden erfüllte Maya, während sie dahintrieb. Das Gefühl des gleitenden Kanus, das Auf und Ab der Dünung, all das wiegte sie in einen glückseligen Dämmerzustand. Die Küste entfernte sich und verschwand im Dunst. Mächtige Rückenflossen tauchten aus dem Wasser auf, rechts und links vom Boot, zerteilten das Meer wie scharfe Klingen.
    Ein

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