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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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momentan nichts, dass sie hätte überraschen können.
    „Ich sehe meinesgleichen. Ich höre, wie sie mich rufen. Es ist wie ein Traum, nur im Wachzustand. Aber sicher war ich mir erst, als ich bemerkte, dass ich unter Wasser nicht mehr atmen muss. Nicht im menschlichen Sinne jedenfalls.“
    „Kiemen?“
    Er verneinte kopfschüttelnd. „Hautatmung.“
    „Die findet aber nur im Wasser statt, oder? Denn sonst müsste deine Haut permanent feucht sein. Die meisten Tiere, die ausschließlich über die Haut atmen, sind ziemlich klein. Generell wurmförmig oder flach, um eine im Vergleich zu ihrem Volumen möglichst große Oberfläche zu schaffen.“ Es half, die Sache gewohnt analytisch zu betrachten, also sprach sie weiter. „Bei größeren Wesen wäre die Diffusion von Atemgasen über die Haut nicht mehr ausreichend, deshalb spuckte sich die Evolution in die Hände und erfand Kiemen und Lungen. Ich zum Beispiel decke als Mensch nur ein Prozent meiner Atmung durch die Haut ab. Du hingegen wechselst zwischen Lungenatmung und Perspiration hin und her. Wie geht das?“
    „Keine Ahnung.“ Er zuckte mit den Schultern. „Der Schlammspringer ist ein Fisch und kann trotzdem an Land atmen. Die Art, wie ich unter Wasser an meinen Sauerstoff komme, ist noch unerforscht. Es könnte alles ganz anders sein, als wir es kennen. Auch die moderne Wissenschaft ist nicht allwissend, so gern sie es auch wäre.“
    Sie wich zurück und sah zu ihm auf. „Wo wir gerade davon reden. Hältst du es immer noch für eine gute Idee, mit auf das Expeditionsschiff zu kommen?“
    „Absolut. Ich habe so eine Ahnung, dass es Schicksal ist.“
    „Schicksal hin oder her, so ein Schiff ist genau der Ort, an dem Geheimnisse am schwierigsten zu bewahren sind. Um genau zu sein, ist es fast unmöglich, überhaupt eine Privatsphäre aufrechtzuerhalten. Ich will nicht schuld sein, dass jemand herausfindet, was du bist. Die sind nicht so wie ich, verstehst du? Sobald Roboter aus dem Wasser gezogen werden, flippen die Typen aus vor Eifer. So viel Aufregung für schnöde Wasserproben. Stell dir mal vor, die bekommen mit, was du bist. Glaub mir, die belassen es nicht beim Ausfragen.“
    „Ich bin selbst Wissenschaftler. Vergiss das nicht. Sämtliche Risiken sind mir bewusst.“
    „Wie du meinst. Denk nur daran, dass es auf so einem Kahn immer ein paar Augen und Ohren zu viel gibt.“
    Er antwortete nichts darauf, nahm sie nur bei der Hand und lief weiter. Als sie sich dem Haus der Jacobsens näherten, flog die Tür auf. Jeanne huschte heraus, stürmte auf sie zu und fiel Christopher in die Arme. Schluchzend schüttete sie eine Salve Schimpfwörter über ihn aus und malträtierte ihn mit matten Schlägen, die er mit stoischem Lächeln ertrug.
    „Ich stör euch besser nicht weiter. Wir sehen uns.“ Maya wollte ihn nicht verlassen, doch sie musste dringend ihre Gedanken ordnen. Wieder auf den Teppich kommen. Das Ganze wenigstens ansatzweise verarbeiten.
    „Was machst du an Heiligabend?“
    Sie stutzte. War das die Ankündigung zu einer Einladung? „Bisher noch nichts.“
    „Möchtest du zu uns kommen? Um drei Uhr nachmittags?“
    Euphorie wurde durchdrungen von Enttäuschung. Einerseits konnte sie ihr Glück kaum fassen, Weihnachten mit ihm zu verbringen. Hier, in seinem Zuhause. Andererseits schien für ihn damit beschlossen zu sein, dass sie sich erst Heiligabend wiedersehen würden. Wie in aller Welt sollte sie das aushalten? „Ich komme gerne“, beeilte sie sich zu sagen. „Kann es kaum erwarten.“
    „Sehr gut.“ Er schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Sie sog es auf wie eine Kostbarkeit. Genau dieses Lächeln musste sie über die nächsten Wochen retten. Irgendwie.
    Als sie den Jeep startete und das Gaspedal durchdrückte, weinte und lachte sie gleichzeitig. Das Leben war ihr gestern noch geordnet erschienen, zumindest auf gewisse Weise. Der Weg war klar und deutlich gewesen. Doch jetzt fühlte sie sich wie Alice im Kaninchenbau. Konnte sie noch normal weiterleben? Wollte sie das überhaupt? Nein, auf keinen Fall.
    Was sie erlebt hatte, war magisch. Es war fantastisch. Auch wenn es sie um den Verstand brachte. Legendäre Geschöpfe existierten. Träume wurden Wirklichkeit. Die ganze Welt hüllte sich in schillernde Farben und machte das Unmögliche möglich.

    Immer, wenn sie die Lichter sah, fühlte sie sich seltsam. Nach wie vor war da ein winziger Teil in ihr, der sich dieser Welt zugehörig fühlte, sich daran erinnerte, wie es war, an

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