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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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der Feuerstelle einer Hütte zu sitzen und im Kreise einer Familie zu essen, zu schlafen und aufzuwachen. Mit ihnen zu lachen, zu leiden und zu hoffen. Dieses Leben war lange vergangen.
    Der Ozean hatte viele Erinnerungen ausgebleicht wie einen Baum, der nach Jahrhunderten im salzigen Wasser als morscher Knochen zurück an den Strand gespült wurde. Nur noch ein Fragment war übrig geblieben, das an die Oberfläche kam, wenn ihr Blick das Land streifte oder ihre Füße Erde berührten. Dachte sie an ihre Kindheit zurück, war diese Erinnerung verknüpft mit dem Gefühl, in einem winzig kleinen Leben in einer winzig kleinen Welt gefangen zu sein.
    Damals als Mensch hatte sie nicht so empfunden, doch wer einmal die Weite des Meeres gekostet hatte, wer einmal eins mit den Strömungen gewesen und im Mondlicht in einem gewaltigen, atmenden Ozean getrieben war, der würde niemals wieder an Land leben können, ohne sich eingeengt zu fühlen. Sogar während der kurzen Zeit, in der sie ihrem Körper seine frühere Gestalt aufzwang, fühlte es sich entsetzlich an. Aber sie musste es tun. Ein Instinkt sagte ihr, dass sie die Fähigkeit, wie ein Mensch zu atmen, anderenfalls verlieren würde. Blieb sie zu lange unter Wasser, verkümmerten ihre Lungen. Unterzog sie sich längere Zeit nicht der Verwandlung, fiel sie ihr beim nächsten Mal unsagbar schwer.
    Ein Teil in ihr vermisste die alten Zeiten. Heute saßen die Menschen nicht mehr an Feuerstellen und fürchteten sich nicht mehr vor der Nacht und den Meerestiefen. Trotzdem liebte sie es nach wie vor, in der Dunkelheit auf einem Felsen zu sitzen und die Lichter zu beobachten. Dem Rauch der Schornsteine zuzusehen, wie er sich in den Himmel hinaufwand und den Halbmond hellen Kieses zu betrachten, auf dem wie früher die Boote festgezurrt lagen.
    Keiner der Dorfbewohner zündete mehr das Feuer auf der höchsten Klippe an, um verirrten Seelen eine Zuflucht anzuzeigen. Keiner schickte mehr den Ruf in die Nacht hinaus, der viele Jahrhunderte lang jede Nacht dort oben geleuchtet hatte. Ob sie ihren Glauben vergessen hatten? Oder kümmerten sie die alten Geschichten einfach nicht mehr?
    Sie strich über die Stelle an ihrer Hüfte, wo Haut in von Schuppen verziertes Silber überging. Selbst nach so langer Zeit weckte das, was das Meer ihr geschenkt hatte, ihr Erstaunen. Da war dieses Muster, das manchmal verschwand und dann wieder aufleuchtete und an die ins Fleisch geritzten Darstellungen erinnerte, mit denen Menschen sich in früheren Zeiten geschmückt hatten, um den Göttern des Meeres zu gefallen. Mearrans Brust hatte das schönste Muster geziert, hineingestochen in seine Haut, als seine Sehnsucht nach der Tiefe unerträglich geworden war. Er hatte nach Befreiung geschrien, und sein Flehen war erhört worden. So rein war dieser Mann gewesen. So stolz und leidenschaftlich. Wie gerne hätte sie selbst die Seele von seinen Lippen gesaugt.
    Inzwischen hatten sich die Menschen von ihrem Ursprung abgewandt. Noch immer lebten sie an den Ufern des Ozeans, reisten auf ihm für Nahrung, Abenteuer und Reichtum, aber sein wahres Wesen kannten sie nicht mehr. Sie hatten vergessen, dass das Wasser das Blut der Erde war, denn wie sonst war es zu erklären, dass das Meer so laut geworden war? So schmutzig, gefährlich und leer?
    War es wirklich richtig, den Jungen in diese sterbende Welt zu holen? Was gab es denn noch zu retten, selbst wenn er zu ihnen kam und seine Macht zu beherrschen lernte? Eine Handvoll Überlebender, die sich in einem Tiefseegraben versteckten und nur noch Schatten ihrer selbst waren, die Überreste eines einst stolzen Volkes, das die Meere der alten Welt beherrscht hatte. Möglicherweise überstand er die Zerreißprobe. Noch durchfloss ihn das Blut seines Vaters.
    Wellen brandeten gegen den Felsen und streichelten sie mit kühler Gischt. Wehmütig starrte sie auf das am höchsten gelegene Licht des Dorfes. Dort oben fand er keinen Schlaf, war voller Unruhe und bis zum Zerreißen angespannt. Nein, unmöglich, dass er widerstand. Mit jeder Stunde wurde der Mensch in ihm schwächer. Mit jedem Atemzug und jedem Schritt auf fester Erde. Bald würde er den Kampf aufgeben, und dann würde er ihr gehören. Nach so vielen Jahren des Wartens.
    „Widerstehe, solange du willst“, sagte sie in menschlicher Sprache, stieß sich vom Felsen ab und glitt in das Wasser hinein. „Aber du wirst zu mir kommen. Spätestens, wenn der Erste sterben muss, weil er dich liebt.“

    Ihm war, als

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