Meeresrauschen
völlig verschwitzt, das Zimmer muss dringend
gelüftet werden und du duftest auch nicht gerade nach
Chanel Nummer neunzehn.« Mam fasste mich am Arm und
zog mich sanft, aber bestimmt zur Bettkante. »So kannst du
nicht einmal deine beste Freundin empfangen.«
Ich wollte mich wehren, aber ich spürte, dass das keinen
Sinn hatte. Es kostete mich einfach zu viel Energie.
»Schon gut«, murmelte ich, richtete mich taumelnd auf und
tappte langsam aus dem Zimmer.
»Warte, Elodie, ich komme lieber mit.« Mit wenigen Schritten
war meine Mutter bei mir. »Nicht, dass du mir noch zusammenbrichst.
«
Sie machte Anstalten, mich unterzufassen, doch ich entwand
mich ihrem Griff. Ich wollte nicht, dass sie mich berührte. Ich
wollte nicht, dass mich überhaupt jemand berührte.
»Das tu ich schon nicht«, brummte ich und lief weiter den
Flur entlang in Richtung Bad.
Meine Muskeln fühlten sich schlapp an, aber sie funktionierten.
Ich würde Mam den Gefallen tun und duschen, etwas essen
und mit Sina reden – bestimmt hatte sie jede Menge von der
Schule zu erzählen, sodass ich vielleicht gar nicht viel zu sagen
brauchte – und danach dann wieder in meine Höhle zurückkriechen.
Doch meine Mutter hatte sich offenbar vorgenommen,
mich nicht unbeaufsichtigt zu lassen. Jedenfalls blieb sie mir
dicht auf den Fersen, schlüpfte gleich hinter mir durch die Tür
und ließ sich auf den Klodeckel sinken.
Ich versuchte, sie nicht zu beachten, zog den Schlafanzug
aus und trat in die offene Dusche. Der Hebel stand ganz links,
also auf kalt. Ich drehte das Wasser auf und stellte mich, ohne
mit der Wimper zu zucken, darunter.
»Alles okay?«, fragte Mam.
Ich antwortete nicht, sondern schloss die Augen und ließ
das Wasser auf meine Stirn prasseln. Ich spürte die Kälte, aber
ich empfand sie nicht als unangenehm. Im Gegenteil, sie war
eine Wohltat für meine brennende Haut. Mein Körper schrie
geradezu danach, eine Nixe zu sein, doch ich ignorierte seinen
Ruf. Weder die Nixe würden mich kriegen noch die Menschen.
Ich gehörte zu niemandem mehr und nie wieder würde
irgendjemand mein Herz berühren.
»Wolltest du nicht Frühstück machen?«, fragte ich.
»Eigentlich schon.« Meine Mutter erhob sich vom Klodeckel,
lehnte sich gegen das Waschbecken und musterte
mich. »Wenn es dir wirklich gut geht …?«
»Kein Problem«, sagte ich, drückte etwas Waschgel aus der
Flasche und begann, mich einzuseifen. Meine Haut war schon
ganz rot vor Kälte.
Mam sah mich schweigend an. Ich spürte, dass sie die ganze
Zeit irgendwie unter Strom stand, trotzdem dauerte es länger,
als ich gedacht hatte, bis sie merkte, dass ich kein heißes Wasser
dazugemischt hatte, aber da flippte sie dann endgültig aus.
»Sag mal, spinnst du jetzt total, oder was!«, schrie sie und
rutschte fast auf den nassen Fliesen aus, als sie an mir vorbeigriff
und den Wasserhahn abstellte.
Sie zerrte das große violette Handtuch aus dem Regal, das
ich früher so gemocht hatte, und schlang es mir um die Schultern.
»Was zum Teufel ist eigentlich los mit dir?«, stieß sie hervor,
während sie wie eine Blöde mit dem Handtuch an mir
herumrubbelte. »Es ist doch nicht mehr normal, wie du dich
verhältst!«
Ich bin ja auch nicht normal.
Ich bin eine Halbnixe. Eine Hainixe.
Und die ist gefährlich. – Richtig gefährlich.
Wie eine heiße Flamme kochte die Wut in mir hoch. Sie
loderte in meinem Becken, raste meine Wirbelsäule hinauf
und explodierte in meiner Kehle.
»Raus!«, brüllte ich. »RAUS!!!«
Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, Elodie, nein. Ich
lasse es nicht zu, dass du dich noch weiter in dich zurückziehst.«
»ABER DAS TUE ICH DOCH GAR NICHT!«, schrie ich.
»ODER HÖRST DU ETWA NICHT, WIE PRÄSENT ICH
GERADE BIN?«
Mam zuckte richtig zusammen. Ihr Gesicht war aschfahl geworden,
und ihre Lider flatterten wie bei einem kleinen Kind,
das ausgeschimpft wird. Und plötzlich fühlte ich mich stark,
unendlich stark.
Meine Außenhülle wurde dicker. Fester. Härter.
Ich war so mächtig.
Niemand hatte mir etwas zu befehlen.
Ich tat nur noch das, was ICH wollte.
»Raus hier«, sagte ich leise. »Lass mich endlich in Ruhe.«
»Nein.« Meine Mutter verschränkte die Arme vor ihrer
Brust und blickte mir fest in die Augen. »Ich lasse dich erst
allein, wenn du dich beruhigt hast.«
»Das habe ich«, erwiderte ich. »So ruhig wie im Moment war
ich noch nie. Und jetzt raus, sonst schlage ich alles kurz und
klein.«
Mam reagierte nicht, sondern stand
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