Meeresrauschen
darüber reden.«
Ich sah sie müde an.
Für eine Sekunde wirkte Mam ein wenig verunsichert, dann
lächelte sie und ließ den Motor an. »Ich schätze, sie hat dir
schon hundert SMS geschickt …?«
»Keine Ahnung.«
Ich wusste nicht mal, ob ich mein Handy überhaupt eingesteckt
hatte. Vermutlich lag es noch zwischen den Polstern des
Rattansofas.
Meine Mutter schüttelte den Kopf. Offenbar irritierte es sie,
dass meine beste Freundin nicht bereits über jedes Detail genauestens
informiert war.
Sina … Sina … Sina … Ich freute mich ja nicht mal, sie wiederzusehen.
Wie denn auch? Schließlich war ich gar nicht da,
weder auf Guernsey noch in Hamburg oder Lübeck, nicht auf
dem Mond und auch nicht in den Tiefen des Ozeans, sondern
an einem Ort, wo mich niemand finden würde – nicht einmal
ich selbst.
Mein Zimmer war noch genau so wie an dem Tag, als ich es
verlassen hatte, Mam hatte bloß das Bett frisch bezogen. Eine
Wolke aus künstlichem Vanilleduft stieg in meine Nase, als ich
unter die Decke kroch und sie über meinen Kopf zog.
Dunkelheit und Stille umfingen mich und schlossen mich
vollständig von der Welt da draußen ab. Mein Gehirn durfte
aufhören zu denken und mein Herz würde hier hoffentlich
endlich allen Schmerz vergessen können.
Hier wollte ich bleiben. – Fürs Erste.
Vielleicht auch für immer.
Lautlos glitten Kyan, Liam, Niclas und Pine über den Grund des
Ärmelkanals. Bis die Dunkelheit der Nacht hereinbrach und sich ins
Meer hinabsenkte, hielten sie sich im Schatten der Riffe auf, damit
die Haie, die das Gebiet rund um Sark und Guernsey bevölkerten, sie
nicht bemerkten.
Der Plan stand, es war alles besprochen, ein Aussenden von Signalen
nicht mehr nötig, jeder von ihnen wusste, was er zu tun hatte.
Mit der Dunkelheit kam auch die Stille. Boote, Jachten und Trawler
lagen in den Häfen, nur aus der Ferne tönte das beständige Brummen
der großen Transportschiffe auf ihrem Weg zwischen Atlantik
und Barentssee zu ihnen herüber.
Unbemerkt umrundeten die vier Nixe die Klippen unterhalb von
Castle Cornet, ließen St Peter Port hinter sich, schwammen weiter in
Richtung Norden, wo ihnen mit Sicherheit nicht einmal der Plonx auflauerte,
und zogen in einem langen Bogen an der Südküste Alderneys
vorbei, um schließlich zurück auf den Sandstrand der Belvoir Bay von
Herm zuzusteuern.
Kyan spürte den Sog, lange bevor sie das Flachwasser erreichten. Er
hatte Liam, Pine und Niclas nicht gesagt, wie gefährlich ihr Vorhaben
war. Würde es nicht gelingen, würden ihre Leiber gefangen in ihrer
Delfinhülle auf dem Strand liegen bleiben und noch vor der rettenden
Hochflut am nächsten Morgen unter dem Druck ihres Eigengewichts
verenden.
Doch der Sog war stärker als alle Bedenken, und so überließ er
sich in bebender Erwartung der Welle, die ihn auf den feuchten Sand
spülte, seine Haut löste und seine Schwanzflosse spaltete.
Neben ihm hörte er Liams leises triumphierendes Lachen, ein tiefes
Stöhnen aus Pines Kehle und ein überraschtes Keuchen, das von
Niclas kam.
»Oh, verdammt! Ich glaub es nicht!«, rief er aus.
Kyan sprang auf die Füße. Es war ein gutes Gefühl, die Arme frei
bewegen zu können und endlich wieder Beine und Füße zu haben.
Sein Blick fiel auf Niclas, der stumm im Sand saß und ungläubig auf
sein Geschlecht herabsah.
»Keine Sorge«, sagte Kyan. »Du wirst keine dazu zwingen müssen.
Sobald sie dich sehen, werden sie dir verfallen. Nur eine Berührung
von dir und sie lassen alles mit sich geschehen.«
Niclas und Pine waren die Jüngsten in seiner Allianz. Beide hatten
ozeanblaue Augen und dichtes dunkelblondes Haar. Pines Oberkörper
war etwas muskulöser als der von Niclas, dafür hatte dieser einen
sehr hübschen sinnlich geschwungenen Mund.
Liam war inzwischen ebenfalls aufgestanden und betrachtete aufmerksam
den Kiefernwald, der sich oberhalb des Strandes bis zum
höchsten Punkt der kleinen Insel hinaufzog.
»Da sind welche!«, wisperte er.
Kyan kniff die Augen zusammen. »Mädchen?«
Liam nickte. »Drei oder vier. Ich glaube, sie kommen zum Strand
herunter.«
»Gut.« Kyan grinste breit. »Das ist sogar sehr gut.«
»Aber wir haben noch keine Kleidung«, wandte Liam ein.
»Wo ist das Problem?«, erwiderte Kyan kopfschüttelnd. »Wir stellen
uns bis zu den Hüften ins Wasser und warten, was passiert. Los,
kommt!«, trieb er Pine und Niclas an. »Generalprobe, Jungs. Wenn ihr
die besteht, werden wir hier auf den Inseln vier Wochen lang
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