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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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einfach nur da.
    Also fing ich an.

    Nachdem ich alle Handtücher aus dem Regal gerissen, die
Konsole unter dem Spiegel abgeräumt und mit Haarbürsten
und Zahnputzbechern um mich geworfen hatte, wurde meiner
Mutter das Ganze dann offenbar doch zu unheimlich. Mit
schützend über den Kopf geworfenen Armen flüchtete sie aus
dem Badezimmer.
    Ich schlug die Tür hinter ihr zu, drehte den Schlüssel um
und ließ mich zu Boden gleiten.
    Endlich wieder allein. Endlich. Endlich. Endlich.
    Aber meine Mutter ließ sich nicht ausblenden.
    Ich hörte ihre Stimme im Flur, wie sie jemandem unsere
Adresse durchgab und mit knappen atemlosen Sätzen erklärte,
dass ihre Tochter gerade durchdrehte.
    Danach kam sie wieder zurück und tippte gegen die Tür.
    »Elodie, Schatz, ich habe den Notarzt gerufen. Sie haben
mir gesagt, dass ich dich auf keinen Fall unbeaufsichtigt lassen
darf.«
    Ich antwortete nicht, wollte wieder in meinem Versteck verschwinden
und ganz klein und unwichtig werden. Aber das
war gar nicht so einfach.
    »Elodie, bitte hör mir zu!«
    Tu ich doch.
    Ich summte leise, während ich mich erhob, langsam hin
und her lief und schließlich vor dem Spiegel stehen blieb. Eine
Fremde blickte mir daraus entgegen.
    »Je nachdem … Elodie«, sagte meine Mutter. »Es könnte
sein, dass der Arzt dich mit in die Klinik nimmt.«
    Ja, ich weiß.
    Es war mir völlig egal, wo mein Körper sich befand, wer mir
zu essen und zu trinken gab und ob ich mich mit jemandem
unterhalten musste. Meinetwegen sollten sie mich doch bis
zum Scheitel mit Medikamenten vollpumpen!
    Ich hörte die Klingel und nur wenige Augenblicke später
schlug die Tür krachend auf und zwei Leute in Orange stürmten
zu mir ins Bad.

    »Es tut mir so leid«, sagte Mam später, als ich wieder in meinem
Bett lag und der Arzt, der mir eine Injektion verpasst
hatte, wahrscheinlich längst bei seinem nächsten Notfall war.
    »Wieso haben die mich nicht mitgenommen?«
    »Weil ich versprochen habe, auf dich aufzupassen. Es war
allerdings nicht ganz leicht, sie davon zu überzeugen, dass du
dir nichts antun würdest.«
    Meine Mutter saß auf der Bettkante und betrachtete aufmerksam
mein Gesicht.
    »Es tut mir wirklich leid, Elodie«, wiederholte sie nach einer
Weile. »Es tut mir leid, dass es mir nicht gelungen ist, dich und
deine Gefühle ernst zu nehmen. Ich habe es versucht … Ich
habe es ganz ehrlich versucht, aber …«
    Ich erwiderte ihren Blick und sah, dass sie geweint hatte.
Ihr Schmerz war offensichtlich, aber ich ließ ihn nicht an mich
heran.
    Schließlich senkte sie die Lider und strich wie beiläufig mit
den Fingerspitzen über meine Bettdecke. »Ich habe Sina gesagt,
dass sie warten soll, bis du dich bei ihr meldest.«
    »Ich bin müde«, sagte ich und schloss die Augen.

    Es war dunkel und es war laut, und zuerst begriff ich nicht,
woher dieser schreckliche, dröhnende Lärm kam, aber nach
ein paar Sekunden der Orientierung wurde mir klar, dass er
von oben über mich hereinbrach. Riesige Containerschiffe zerschnitten
die Wasseroberfläche. Es waren viele, sehr viele. Ihre
mächtigen Schiffsschrauben wühlten das Meer auf. Irgendwo
explodierten Gassuchkanonen, eine stinkende giftgelbe Flüssigkeit
ergoss sich in die See, und pechschwarze Vögel, die
nicht mehr fliegen konnten, trieben mit starr zum Himmel
gerichteten Augen auf die Strände zu.
    Überall waren riesige Netze ausgelegt, die dem Meer die wenigen
noch verbliebenen Fische zu nehmen versuchten. Auch
Haie und Delfine hatten sich darin verfangen. Die dünnen
Schnüre rieben über ihre Leiber und rissen die verletzliche Außenhülle
auf.
    Ihre Schmerzensschreie vermischten sich mit dem Lärm der
Schiffsmotoren und waren kaum zu ertragen. Die Delfinnixe
erstickten langsam. Die Hainixe jedoch erwartete ein weitaus
schlimmeres Ende. Diejenigen von ihnen, die nicht ihr Bewusstsein
verloren, starben einen nicht enden wollenden qualvollen
Tod.
    Ich wusste, dass ich das alles nicht ertrug, also wandte ich
mich ab und verkroch mich in meine Höhle, wo ich vergessen
konnte. Dort hockte ich und wartete, bis mein Gedächtnis
sich aufgelöst hatte und nichts als ein weißes Rauschen übrig
geblieben war.
    Ich kannte keine Jane und keinen Javen Spinx, weder Ruby
noch Ashton, nicht einmal Tante Grace.
    Auf den Kanalinseln war ich nie gewesen.
    Noch nie hatte ich von jemandem gehört, der Cyril hieß.
    Und auch an den wunderschönen Jungen mit den goldenen
Locken und den türkisfarbenen Augen, der auf der

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