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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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mehr erinnern.
    »Vielleicht passt du ja doch besser zu Sina«, sagte ich hoffnungsvoll.
    »Möglich …« Frederik kniff die Augen zusammen. Zweifellos
versuchte er zu begreifen, was geschehen war.
    Verdammt, ich bekam es nicht hin, diesen verhängnisvollen
Kuss vollständig aus seinem Gedächtnis zu löschen. Es funktionierte
einfach nicht.
    »Hast du das von deinem Insel-Kerl gelernt?«, fragte er jetzt.
    »Wird wohl so sein«, erwiderte ich. »Die sind sehr eigenwillig
dort, musst du wissen. Ihre Küsse sind ein bisschen feuchter
als die der Leute auf dem Festland …«
    Ich musterte ihn forschend. Wie viel hatte er tatsächlich
mitbekommen? War er noch immer erschrocken oder eher angeekelt?
Hielt er mich für gestört? Abartig? Gefährlich? Würde
er jemandem davon erzählen?
    »Ein bisschen feuchter … Ts!« Wieder schüttelte Frederik
den Kopf. »Nichts für ungut, Elodie«, sagte er. »Aber auf so
was steh ich nicht.«
    »Kein Problem.« Ich rutschte ein Stück zur Seite und ließ
ihn vom Bett aufstehen. »Sina solltest du es allerdings besser
nicht erzählen. Ich meine, vielleicht hast du sie ja doch gern.«
    Frederik stieß einen Schwall Luft aus. Ohne mich noch einmal
anzusehen, steuerte er auf die Tür zu.
    Panik stieg in mir hoch. Wenn ich es schon nicht hinbekam,
dieses verhängnisvolle Ereignis aus seinem Gehirn zu löschen,
dann musste ich mir etwas anderes einfallen lassen.
    »Oder soll ich ihr sagen, dass du mich geküsst hast?«, fragte
ich, während ich mich ebenfalls erhob.
    Frederik drehte sich um.
»Ich dich?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Klar, du mich. Was sonst? Ich
kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass ich dich gebeten
habe hierherzukommen. Also, bevor du alles verdrehst,
Frederik …«
    »Keine Sorge, das tu ich schon nicht.«
    Er wandte sich wieder der Tür zu, drückte die Klinke runter
und zwei Sekunden später war er verschwunden.
    Ich sank aufs Bett zurück und starrte ihm hinterher.
    Was hatte ich bloß getan?
    Woher kam diese wilde unbezähmbare Wut und warum
hatte ich sie nicht unter Kontrolle?
    Verdammt noch mal, ich hatte nicht nur den Freund meiner besten Freundin geküsst – ich hätte fast einen Menschen getötet!
    Ich hatte es verdient, wenn Frederik es herumerzählte. Wenn
man mich abholte und einsperrte oder mich in eine Klinik
brachte, mir Blut abzapfte und feststellte, dass ich eine Bestie
war …
    Verzweifelt trommelte ich mir mit den Handballen gegen
die Stirn. So mies hatte ich mich noch nie gefühlt.
    Ich bin Elodie Saller, hämmerte ich mir mit jedem Schlag
ein.
    Ich bin ein ganz normales Mädchen und ich war nie auf den
Kanalinseln.
    Lüge! Lüge! Lüge!

    Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass ich mitten in einem
nassen Fleck auf meiner Bettdecke hockte und die Feuchtigkeit
allmählich in meine Jeans hinaufzog.
    Ich sprang auf, nahm eine helle Chino aus dem Kleiderschrank
und hängte die feuchte Jeans über meinen Schreibtischstuhl.
Anschließend breitete ich die Bettdecke aus, damit
auch sie trocknen konnte.
    Dabei fiel mein Blick auf den gelben Umschlag, der vor dem
Bett auf dem Boden lag.
    Ich hob ihn auf, wendete ihn hin und her und legte ihn auf
den Nachttisch.
    »Das ist doch alles Unsinn«, murmelte ich.
    Der Vorfall mit Frederik hatte mich zutiefst erschreckt. So
etwas durfte nie wieder passieren, ich wollte unbedingt die
Kontrolle über das behalten, was da in mir schlummerte. Niemand
hier in Lübeck, weder Mam noch meine alten Freunde
und erst recht kein Fremder, durfte herausfinden, wer ich
wirklich war.
    Ich konnte nur hoffen, dass Frederik die Klappe hielt,
oder – was natürlich noch besser wäre – sich doch nicht mehr
so genau an alles erinnerte. Darüber, dass ich eines meiner Talente
aufs Spiel gesetzt und womöglich verloren hatte, mochte
ich gar nicht nachdenken.
    Ich musste mit dem leben, was ich war.
    Besser noch: Ich musste in mein altes Leben zurück.
    Vielleicht konnte Sinas Brief ein Anfang sein.
    Vorsichtig, als ob ich ihm eine Verletzung zufügen könnte,
nahm ich ihn vom Nachttisch. Ich lief ein paar Schritte auf
und ab und betrachtete den Umschlag noch einmal von beiden
Seiten. Sina hatte ihn zugeklebt, aber nicht beschriftet.
    Ich sank auf die Kante meines Schreibtischstuhls, fischte
mein Cuttermesser aus dem Utensilo und öffnete den Umschlag
mit einem schnellen, gezielten Schnitt.
    Die Karte, die ich herauszog, war genauso gelb wie der Umschlag.
    Liebe Elodie,
stand darauf,
    ich denke jeden Tag an Dich, und

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