Meeresrauschen
veränderte.
Das Türkis intensivierte sich und seine Iris war nun von
Tausenden winzig kleinen funkelnden Punkten durchsetzt.
Tränen, die zu Kristallen erstarrt sind, dachte ich. Wie ein Sog
zog mich dieser Anblick in die Realität zurück und mit dem
nächsten Atemzug spürte ich alles überdeutlich. Meine Hilflosigkeit,
meine Trauer und den Schmerz über den Verlust meines
Vaters, aber auch Gordys Nähe, seine Wärme und seinen
Duft und die überwältigende Sehnsucht nach ihm.
»Ich weiß, dass es sehr egoistisch ist«, sagte er leise. »Aber ich
kann dich einfach nicht fortlassen.«
»Ich bin doch gar nicht fort«, stammelte ich.
»Nein, jetzt nicht mehr.« Auf seinem Gesicht breitete sich
ein erleichtertes Lächeln aus. Gordy drückte mich sanft an
sich und küsste meine Stirn, meine Augen, meine Wangen
und meinen Mund. »Bitte, tu das nie wieder.«
»Was denn?«
»Dich so weit zurückziehen. Ich dachte schon …«
»Was?«
»Du würdest irgendwo tief da drinnen verschwinden.« Er
tippte mir gegen die Stirn. »Und ich hätte nicht gewusst, wie
ich dich von dort wieder hätte zurückholen können.«
»Gordy, man kann nicht in sich selbst verschwinden«, sagte
ich.
»Doch, man kann.« Seine Miene war jetzt ausgesprochen
ernst. »Nixe zumindest können es. Sie bleiben viele Jahre so,
manchmal für immer. Es passiert, wenn sie etwas Schlimmes
erleben oder wenn ihnen ein Geheimnis anvertraut wurde,
das sie um jeden Preis bewahren müssen.«
»Und damit sie es nicht ausplaudern, ziehen sie sich in sich
selbst zurück?«, fragte ich ungläubig.
»Siehst du«, Gordy lächelte gequält. »Du kennst es ja doch.«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Es ist nicht das Gleiche.
Ein Mensch kann so etwas nicht. Wir haben keine solchen
inneren Ver…«
Ich brach ab, denn plötzlich musste ich an Cecily Windom
denken. War ihr Geist noch hier oder bereits woanders? Und
was war mit den Menschen, die sich nach einem Unfall nicht
mehr an ihr vorheriges Leben erinnerten, oder den indischen
Yogis, die sich tagelang in tiefe Meditation versenken konnten?
»Hör auf damit«, sagte Gordy. »All das hat nichts mit dir zu
tun.«
Wie auf Knopfdruck fing ich an zu zittern und neue Tränen
liefen mir über die Wangen. Diesmal küsste Gordian sie mir
nicht weg, sondern zog mich zum Bett hinüber, drückte mich
in die Kissen und legte sich neben mich. Er tastete nach meiner
Hand, flocht seine Finger in meine und schmiegte sein
Gesicht in meine Halsbeuge.
So lagen wir eine halbe Ewigkeit beieinander, ich weinend
und er ganz still, aber so nah bei mir, dass ich nicht fliehen
konnte. Ich war erstaunt, dass ich so viel Trauer und Schmerz
in mir eingeschlossen hatte, und es tat furchtbar weh, das alles
herauszulassen.
Allein hätte ich das niemals ertragen. Aber Gordy war ja da.
Er ließ mich sein, ertrug und trug mich zugleich. Und als ich
mich irgendwann, spät in der Nacht, leer geweint hatte und
innerlich ganz still und fest geworden war, glitt er wieder über
mich und schloss mich ein mit seinem ganzen Körper, als wäre
er eine Grotte tief unten im Meer, in der ich Schutz finden
konnte.
Es war eng und es war dunkel. Meine Knöchel juckten, zumindest
kam es mir so vor. Ich konnte mich kaum bewegen und
meine Beine schmerzten so sehr, dass ich mich auf das, was
mit meinen Knöcheln passierte, nicht wirklich konzentrieren
konnte. Jemand zerrte an mir, wollte mich in die Tiefe reißen,
und auf meiner Schädeldecke spürte ich einen Druck, als ob
noch ein anderer gewaltsam von oben nachschob.
Ich wehrte mich mit aller Kraft und versuchte, meinen Kopf
zu befreien und hinaufzusehen – dorthin, wo der Himmel
war, wo es irgendwann wieder heller werden würde und wo
ich meinem Feind vielleicht ins Gesicht schauen konnte, denn
ich hatte das untrügliche Gefühl, dass er auf keinen Fall erkannt
werden wollte. Möglicherweise würde es mir gelingen,
die Macht, die er über mich hatte, zu brechen, sobald mein
Blick in seine Augen traf. Und offenbar war mein Wille stark
genug. Ich schaffte es, die Schultern zu bewegen und den Kopf
mit einem Ruck zur Seite zu drehen. Der Druck auf meinem
Scheitel verschwand sofort und einen Lidschlag später sah ich
in ein glühendes Augenpaar.
Kyan, durchzuckte es mich, aber er lachte nur. Laut und
schallend. Und auf einmal war es Cyril, der sein Gesicht zu
einer widerlichen Fratze verzerrte und mir einen Schwall pechschwarzes
Wasser ins Gesicht spie.
Ich rang nach Luft und bäumte mich auf. Ein
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