Meerestochter
Käse als auch Seife. «Morgan?», rief Knightley sicherheitshalber in Richtung der Regale, die den Raum unterteilten. «Sind Sie da?» Er hörte ein Rascheln und trat instinktiv leise ein. Folie knisterte, als er daran entlangstreifte. Sie hatte einen Stapel Dosen mit Hundefutter zusammengehalten, der bereits angebrochen worden war. Knightley bog um den Berg aus Chappydosen und lugte in den ersten Gang. Er war leer. Das Rascheln aber kehrte wieder.
«Morgan?» Irgendwo brummte ein Heizungsrohr oder Boiler. Links von Knightley türmte sich Hershey-Schokolade, rechts Rindfleisch in Dosen. Dahinter versperrte ein Berg Sonnenschirme die Sicht, die schlampig gestapelt waren. «Morgan, kommen Sie schon. Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.» Knightley wusste selbst nicht, was es war, das ihn zur Pistole greifen ließ. Etwas raschelte, es war ein Geräusch wie ein Jammern. Plötzlich wurde es dunkel, als hätte jemand das Licht gelöscht. Knightley fuhr herum. Mit Mühe erinnerte er sich, gar kein Licht gemacht zu haben. Die Fenster, fuhr es ihm durch den Kopf. Irgendwo mussten Fenster sein, und die hatte jemand mit Fensterläden verschlossen. Aber warum? War er eingesperrt? Er lauschte, aber die Tür fiel nicht ins Schloss. Noch immer aber hörte er das Rascheln und Kratzen vor sich. Kam es näher? Hatten sie ihn im Visier?
Hektisch kramte er nach seiner Taschenlampe, drückte den Knopf, schüttelte sie, drückte wieder. Endlich ein Lichtstrahl. Etwas flüchtete vor ihm.
Knightley hielt den Lichtstrahl so, dass er dem Lauf der Waffe vorauslief. Er schnitt einen verdammt kleinen Kegel in die Dunkelheit. «Ist da jemand?»
Bei den Sonnenschirmen angekommen, die aus der Nähe muffig rochen, nach längst vergangenen Sommern und vergeblicher Hoffnung auf Sonne, blieb Knightley stehen und holte tief Luft. «Stehen bleiben!», rief er und sprang vor.
Er hielt die Waffe im Anschlag, richtete sie schnell nach links und rechts und sicherte mit einstudierten Bewegungen den Raum. Den leeren Raum. Alles, was er in dem Lichtkegel erkennen konnte, waren Ratten. Erstaunlich viele Ratten, die vor ihm die Wand hochkletterten, um das Fenster zu erreichen, das im Übrigen nicht verschlossen oder versperrt worden war. Nur das Tageslicht war verschwunden. Hinter der verstaubten Scheibe, in der er sich im Licht der Taschenlampe vage spiegelte, war ein nachtschwarzer Himmel zu sehen.
«Aber …», stammelte Knightley, der nicht wusste, was ihn mehr verwunderte: der Nachthimmel am frühen Abend oder die Panik der Tiere. Eine Ratte nach der anderen drängte in höchster Eile durch ein kleines Loch in der Fensterscheibe, ohne Rücksicht auf den zackigen Rand, der manchen die Pfoten und den Bauch blutig schnitt. Sie trappelten und kratzten, schrien und bissen in Todesangst um sich und quollen durch die enge Öffnung hinaus.
Was hatte sie so erschreckt? Wohin wollten sie? Jetzt erst musste Knightley an die Schreie und Rufe denken, die er vorhin gehört und ignoriert hatte. Er steckte die Waffe ein und griff zum Diensthandy, um seine Männer anzurufen. Gleichzeitig wandte er sich ab. Ratten, auch wenn sie vor ihm flüchteten, waren ihm ein Graus. Er ignorierte die Gänsehaut auf seinen Armen. Sein rechter Daumen tippte, während er die Füße hob, um nicht auf pelzige Flüchtlinge zu treten. Tippte daneben. Knightley fluchte. Er griff mit der Linken zu, um das Handy nicht zu verlieren und sich nach diesem Boden bücken zu müssen. Bestimmt war alles voller Kot. Giftige Exkremente, voller Pilze und Bakterien und unbekannter Viren. Diesem Morgan würde er die Lebensmittelpolizei auf den Hals hetzen, das war das Mindeste. Aber jetzt galt es erst einmal, diese Nummer einzugeben.
Polternd fiel ihm die Taschenlampe aus der Hand. Knightley fluchte erneut, bückte sich doch, beleuchtete im Wiederaufrichten eins der unteren Regalbretter und pfiff durch die Zähne. Vor ihm lagen, sauber gestapelt und in Plastik eingeschweißt, Bambusvorhänge der Marke «African Pearl – ideal für den Sommer».
«Schau an», flüsterte Knightley, während er nach dem obersten Paket griff. Dann war das wohl doch kein Fall für die Kollegen von der Hygieneaufsicht. Sondern für Moralhygieniker von der Mordkommission wie ihn. «Da schau mal einer an. Und sagt keinen Ton.» Er nahm den Vorhang an sich, klemmte sich das rutschige Plastik unter den Arm und suchte sich seinen Weg nach draußen. Wieder wählte er die Nummer seiner Untergebenen. Aber deren Apparat
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