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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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durften, Sachen einzuladen, und ohne Zeitverlust verschwinden mussten. Aber die meisten standen immer noch wie erstarrt. Sie konnten nicht glauben, was sie sahen. Morningstar konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Er glaubte es ja selbst kaum. Er fühlte sich wie in einem Traum. Nur wenn er an Rose dachte, durchfuhr ihn eine ganz reale, schneidende Angst. Und er wünschte sich, er könnte diese Narren hier sich selbst überlassen und losfahren, um bei ihr zu sein und sie von hier fortzubringen.
    «Hört ihr nicht? Das Wasser wird wiederkommen. Ihr müsst hier weg!»
    Wie um seine Botschaft zu untermauern, verdunkelte sich der Himmel. Dicke, grauviolette Wolken rückten gleichzeitig mit dem Meer vor, überholten es und schluckten das Licht, so dass man meinen konnte, es würde Nacht, obwohl es erst früher Abend war. Ein früher Abend im August. Aber aussehen tat es, dachte Morningstar, wie die Dämmerung des letzten Tages auf Erden. So unglaubhaft und künstlich wie die Kulisse eines Bibelfilmes, in dem er als Prophet mit flatterndem Bart agierte. Und doch geschah dies wirklich. «Wir müssen uns retten.»
    Zu einigen schien die Botschaft durchzudringen, sie wandten sich langsam ab, und wie aus einer Hypnose befreit, da sie nicht mehr auf die Wasserwand starrten, begannen sie zu laufen. Einige schrien jetzt auch, und Morningstar war fast erleichtert, dass eine gesunde Panik sich breitzumachen schien und der Szenerie eine gewisse Normalität verlieh, wie man sie wenigstens aus den Abendnachrichten kannte.
    Andere allerdings konnte er an den Armen packen und rütteln, sie schauten ihn doch nur verständnislos an. Ein paar Fischer machten sich sogar daran, zu ihren Schiffen zu klettern, die im Trockenen auf der Seite lagen, um zu sehen, wie groß die Schäden waren.
    «Ihr Idioten», hätte Morningstar ihnen am liebsten zugebrüllt. Was sollte das jetzt noch? Wollten sie ein paar Taue und Trossen retten? Oder auf der Brücke sterben wie ein aufrechter Kapitän?
    Wenn sie ihn überhaupt beachteten, erntete er ein abfälliges Winken oder einen gebrüllten Fluch. Resigniert wandte er sich ab. Hinter ihm hatten die ersten Broxtoner ihre Autos gestartet und beluden sie mit dem irrsinnigsten Zeug. Aus geöffneten Fenstern wurde Hausrat auf die Straßen geworfen, Federbetten und Wintermäntel. Männer schleppten Aktenordner mit den Familienpapieren, Frauen Schmuckschatullen.
    Morningstar stand mit offenem Mund da. Er sah Patrick Morgan, der statt zu seinem Laster in den Laden lief, um die Kasse und seine Waren zu bewachen, falls es jemandem einfallen sollte, sich in dem allgemeinen Chaos zu bedienen. Wer noch dastand, telefonierte per Handy mit Freunden und Verwandten, um das Unglaubliche zu schildern und sich Rat zu holen. Nicht wenige hielten die kleinen Apparate hoch und schossen verwackelte Fotos in schlechter Auflösung für eine ratlose Mitwelt.
    Morningstar beschloss, dass dies nicht in seiner Verantwortung lag. Hatte Knightley nicht gesagt, er hätte zwei Beamte hier? Knightley musste das regeln. Bestimmt gab es dafür Pläne. Evakuierungspläne. Katastrophenschutzpläne. Und ein normiertes Vorgehen. Das musste nur alles in die Wege geleitet werden, sagte Morningstar sich, dann würde es auch funktionieren. Es würde alles gut werden.
    Noch einmal wandte er sich um. Von Christy war nichts mehr zu sehen, dort draußen war alles in einem einzigen Dunkel versunken. Schwarz vor der Schwärze stand allerdings noch immer die Wand. Und Morningstar wurde klar, dass dagegen keine Pläne halfen und keine Standardprozeduren. Sie würden sterben. Mit diesem Gedanken lief er zu seinem Auto und startete. Er wollte bei Rose sein.
    Nirgendwo sonst.

[zur Inhaltsübersicht]
41. Kapitel
    Knightley war zu vertieft in den Bericht gewesen, um dem Chaos draußen allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Als er fertig war, suchte er nach Patrick Morgan, dem Ladenbesitzer, damit er ihm half, eine Antwort zu faxen. Er fand das Geschäft leer vor. Rufend schlenderte er ein wenig herum, öffnete eine Tür, die in eine Abstellkammer führte, die gerade genug Platz für ein Regal voller Putzmittelflaschen, einen Eimer und einen Schrubber bot, der ihm entgegenfiel, und entdeckte eine weitere Tür, hinter der sich ein Lager befand. Hier stapelten sich die gleichen Dinge wie im Laden, Paletten mit Dosenerbsen, Mehl, Ketchupflaschen, Tetrapacks voll haltbarer Milch, Andenkenkitsch, Batterien und, dem höchst gemischten Geruch nach zu urteilen, sowohl

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