Meerestochter
ich ihn?»
«Jeder in Broxton kennt die Geschichte, Adrian. Alle haben sich damals das Maul darüber zerrissen.» Ihr Ton war hart geworden.
Erstaunt sah er sie an. «Und ich dachte …»
«Dass ich hier so toll mit allen auskomme?» Ihr Lachen klang bitter. «Ja, das hast du mir deutlich zu verstehen gegeben. Du hältst mich für eine angepasste Spießerin.»
«Es tut mir leid, ich wusste ja nicht …»
Sie ließ ihn nicht ausreden. «Es gibt ein Innen und ein Außen, es gibt Maud und Maud St. Aubry, die stets funktioniert. Ich kann – anders als du – beide voneinander trennen. Ich habe die Erfahrung gemacht, wie es ist, die Ausgestoßene zu sein, die, über die alle lachen. Das muss ich nicht wieder erleben.»
«Und Ned? Der hängt doch immer bei dir rum?»
Sie schnaubte. «Also Ned probiert es nun wirklich bei jeder. Das ist kein Integrationsbeweis.»
«Ich hatte keine Ahnung», bekannte Adrian. «Die ganze Geschichte ist mir völlig neu.»
Maud neigte sich zu ihm und sah ihn an. «Dir ist alles neu, Adrian, was dich nicht unmittelbar selbst angeht. Du weißt nichts von Broxton, du weißt nichts von mir.»
«Aber du gehst mich etwas an! Und ich laufe auch nicht blind durch die Welt!»
Sie strich ihm über die Wange und lächelte nur. Adrian errötete. Sie hat ja recht, dachte er. Ich bin mit mir und meinem Dubai-Projekt beschäftigt. Er hatte um sie geworben und sich dabei selbst leidgetan. Aber was wusste er schon wirklich von ihr? War er in ihren Augen nicht nur ein dummer, unreifer Junge, auf den man sich nicht verlassen konnte? Maud war eine Frau. Und was für eine, dachte er mit einem Blick auf ihr wohlgefülltes Bikini-Oberteil.
«Ich sehe dich», flüsterte er. Mit angehaltenem Atem hob er die Hand, um ihr seinerseits über die Wange zu streicheln. Bis zum letzten Moment erwartete er, dass sie zurückzucken, sich ihm entziehen würde. Aber Maud hielt still. Sacht strichen seine Finger über ihre Haut, die weich war und warm, selbst in der frischen Brise. Der Wind wehte ihr ein paar ihrer seidenglatten Strähnen ins Gesicht. Sie schob sie nicht weg. Und in ihren Augen glaubte Adrian jetzt eine Träne schimmern zu sehen.
«Warum weinst du?», fragte er sanft.
Sie sprang auf. «Ich gehe schwimmen.»
Ehe Adrian sie festhalten konnte, war sie zum Wasser gelaufen. Er schaute ihr zu, wie sie, fast ohne innezuhalten, hineinlief und mit einem eleganten Kopfsprung eintauchte. Dann legte er sich zurück, die Hände unter dem Kopf verschränkt, und schloss die Augen. Der Wind war kalt, aber die Sonne hatte noch Kraft. Außerdem war er erfüllt von einer großen, wärmenden Zufriedenheit. Maud hatte Gefühle gezeigt. Maud, die spröde Maud. Seine Maud. Im Geiste wiederholte er jedes ihrer Worte. Mit jedem Satz veränderte sich sein Bild von ihr. Er sah sie, einsam und verängstigt, in sich selbst zurückgezogen. Und er in seiner Selbstverliebtheit hatte auf ihren Gefühlen herumgetrampelt. Seltsam, dass seine Tante ihm von der ganzen Sache nichts erzählt hatte. Es wäre doch eine gute Gelegenheit gewesen, Maud bei ihm anzuschwärzen. Eine Sommeraffäre, wer hätte das gedacht! Ob er den Mann am Ende doch kannte? Immerhin hatte er fast in jeden Ferien hier gejobbt. Gut möglich, dass es sogar ein Gast in Roses Cottage gewesen war, dem er die Frühstücksteller weggeräumt hatte!
Als Maud zurückkam, lag ihr Haar wie lackiert um ihren Kopf. Tropfen perlten von ihrer Haut. Adrian genoss es, sie in ein Handtuch einzuwickeln und an sich zu drücken, bis ihr Zittern nachließ.
«Weißt du», murmelte er in ihr Haar. «Ich frage mich gerade, wieso meine Tante mir nichts davon gesagt hat.»
Maud in ihrer Hülle schnaubte. «Rose auf ihrem Felsen hat ihre eigenen kleinen Geheimnisse», sagte sie. «Wer weiß schon, was Rose denkt.»
«Rose auf ihrem Felsen», wiederholte Adrian und musste lachen. «Das klingt ja, als wäre sie ein Fabelwesen. So siehst du sie?»
«Du nicht?», gab Maud zurück. «Ich kenne keinen eigenbrötlerischeren Menschen.»
«Na ja», gab Adrian zu. «Sie kann einen schon überraschen. Ist dir klar, dass ich erst seit heute weiß, dass sie ein Bootshaus hat?» Und er erzählte ihr die ganze Geschichte.
Maud befreite sich von ihrem Handtuch und hörte aufmerksam zu. Hier und da stellte sie eine Frage. «Und du bist ganz sicher», fragte sie schließlich, «dass sie von
ihrem
Bootshaus gesprochen hat?»
«Ja, ich denke schon, warum?» Auch Adrian hatte sich inzwischen
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