Meerestochter
missglückten Köpfer ins Wasser, um sich ans vermeintlich sichere Festland zu retten.
Beinahe hätte Ondra gelacht. «Meinetwegen pickt ihr die Augen aus», dachte sie, nahm den Gedanken aber zähneknirschend wieder zurück. Alleine würde sie Adrian nicht helfen können.
Sie zog Adrian über die Linie, die die Flut aus kleinen Muscheln, Algenfetzen und Kieseln auf dem Sand gezogen hatte. Mit einem Mal war er so schwer. Warum nur war alles an Land so schwer? Wieder und wieder strich sie über sein Haar. «Du», flüsterte sie erneut und wünschte sich, er würde die Augen öffnen und sie noch einmal ansehen. Unter Wasser hatte er es getan, aber sie wusste nicht, was er wirklich gesehen hatte. Ob er sie wahrgenommen hatte? Oder ob er an einen Traum glauben würde, einen Albtraum gar, ein Wahnbild des Deliriums kurz vor dem Tod? Noch einmal berührte sie seinen Mund mit dem ihren. Sie wollte ihm ihren Atem einhauchen, aber über ihre Lippen kam nichts, nicht das Geringste. Ihre Kiemen dagegen rangen vergeblich um Luft. Sie würde sich bald zurückziehen müssen. Enttäuscht und wütend biss sie ihn ein wenig in die Unterlippe. Zumindest dieses Mal sollte er behalten.
Adrians Lider zitterten, seine Brust hob sich krampfhaft, Wasser quoll in einem Schwall aus seinem Mund. Sie nahm sein Gesicht in beide Hände. «Schau mich an», flehte sie. Er hustete.
Da hörte sie Mauds klatschende Schwimmzüge hinter sich und wusste, sie musste verschwinden. So rasch sie konnte, robbte Ondra zurück und tauchte im Seichten unter. Das Wasser hier war warm, beinahe so warm wie Adrians Haut. Sie konnte sein Blut noch schmecken.
Maud wäre fast auf ihre Hand getreten, als sie eilig durch das seichte Wasser rannte, hin zu Adrians regloser Gestalt. Aber sie bemerkte die Nixe nicht, die es sich nicht verkneifen konnte, der verhassten Konkurrentin zumindest in die Ferse zu zwicken.
Mit einem Kreischen zog Maud den Fuß weg, stolperte und kam zu Fall. Unsanft setzte sie sich neben Adrian, der einen weiteren Schwall Wasser erbrach und dann verwirrt blinzelnd die Augen öffnete. Für einen Moment sah er ein blasses, geisterhaft schönes Gesicht vor sich.
«Irgendetwas hat mich gebissen.» Maud rieb heftig ihre Ferse.
Adrian rollte herum wie ein übergewichtiger Seelöwe, ließ sich das beißende Salzwasser aus Mund und Nase rinnen und starrte in den Sand. Als er den Blutstropfen sah, fasste er sich prüfend an die Lippen.
«Heh», sie stieß ihn an der Schulter. «Hörst du nicht, was ich sage? Ich wurde gebissen. Und diese Vögel …» Etwas in seinem Blick ließ sie innehalten.
Adrian streckte die Hand aus und strich ihr die nassen Strähnen aus der Stirn. Zuerst glaubte er, dass sie schwarz sein müssten, dann verwunderte ihn dieser Gedanke, schließlich vergaß er ihn.
Sie kicherte nervös. Fahrig ahmte sie seine Geste nach. «Ich seh wahrscheinlich furchtbar aus.»
«Du hast mir das Leben gerettet.»
«Was?» Ungläubig lachend sah sie ihn an. Aber Adrian schaute noch immer ganz ernst.
«Na gut», gab Maud nach, ein wenig beeindruckt von der Intensität des Moments. «Wenn du meinst.» Und sie ließ es zu, dass er seine Hand auf ihren Hinterkopf legte, sie zu sich heranzog und sie küsste.
Ondra kochte dermaßen, dass es sie wunderte, dass nicht der gesamte Ozean ringsum in Dampfwolken zerstob. Der Wutschrei, den sie ausstieß, ehe sie sich mit lautem Platschen aufs Wasser warf und davonschoss, ließ die beiden Menschen am Strand verwundert aufblicken.
«Diese Möwen», sagte Maud. «Die haben mich richtig attackiert vorhin. Wie bei Hitchcock, das kannst du dir nicht vorstellen.» Argwöhnisch schaute sie in den Himmel. Aber Adrian zog sie zu sich für einen zweiten Kuss.
«He, du blutest.»
Auch diesen Einwand ließ er nicht gelten.
Ein fassungsloser Schwarm Doraden und ein kleiner Hai bereuten es, der erbosten Nixe auf ihrem Weg in die Tiefe zu begegnen. Die Doraden fanden ihre Ordnung nie mehr wieder, dem Hai schmerzten die Knorpelknochen noch nach Tagen. Ondra war alles egal. «
Wenn du meinst.
Dieses Miststück!» Ein Schwanzhieb brachte eine Reihe transparent schimmernder Quallen ins Trudeln, wie hilflose Fallschirmspringer in einem Orkan. Seeanemonen zogen ihre Arme ein, Felsbewohner ihre Köpfe zurück. Wer aus ihrem Volk sie sah, wie ein Torpedo durchs Wasser schießend in einem Strudel aus wild blubbernden Luftblasen, der ging ihr lieber aus dem Weg.
«Es ist ungerecht, es ist so verdammt ungerecht.» Und
Weitere Kostenlose Bücher