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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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herum.
    Dennoch versuchte sie zu kämpfen. «Wenn du es wagst, ihm etwas anzutun, Vater, dann werde ich, dann werde ich …»
    «Du wirst mir gehorchen.» Es war keine Frage mehr.
    Nein, dachte Ondra. «Nein», murmelte sie. Zu mehr hatte sie nicht die Kraft. Sie sah die schwarze Wand, dort, wo das Wasser eben noch blau gewesen war, und Angst kroch in ihr hoch, kälter als das Wasser des Abgrundes.
    «Gehorche, Ondra!» Die Stimme war überall. Sie sprengte ihren Schädel, riss an ihrem Bewusstsein. Die Schwärze kam; sie war da. Ondra schrie.
     
    «Wo gehst du hin?» Roses Stimme klang dünn. Adrian wirkte so seltsam, seit er vorhin bei Maud gewesen war, noch seltsamer als sonst nach den Besuchen bei ihr. Oft kam er frustriert und aggressiv nach Hause. Heute war er nur stumm an ihr vorbeigerauscht und hatte sich in sein Zimmer eingeschlossen. Nicht einmal auf den Ruf, dass das Abendessen fertig sei, hatte er reagiert. Sie hatte ihm das Lammragout vorsorglich warm gestellt. Aber er schien nicht vorzuhaben, hier zu essen.
    «Aus», sagte er nur.
    «Aber du gehst doch sonst nie aus», rutschte es Rose heraus.
    «Wird vielleicht Zeit, dass ich das ändere.» Adrian sah sie an, sein Blick war seltsam kalt und distanziert, fand Rose. Sie brauchte eine Weile, bis sie den Mut zur nächsten Frage fand. «Heute Nachmittag waren zwei Herren hier. Einer davon war ein Inspektor Knightley.»
    «Ach, der», meinte Adrian. «Hat er sich inzwischen verdoppelt?»
    «Red nicht so leichtfertig, Junge, die Herren sind von der Polizei. Und, Adrian, sie haben so seltsame Fragen gestellt.»
    «Ja?» Adrian wartete.
    Rose schwieg eine Weile.
    «Adrian, du bist so spät gekommen am Dienstag.»
    «Bin ich das?»
    «Ach, Adrian.» Sie seufzte. «Was ist denn los? Ich mach mir doch nur Sorgen um dich.»
    Beinahe wäre Adrian weich geworden, als er ihr Gesicht sah. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass seine Tante alt geworden war. «Kann ich dir mal eine seltsame Frage stellen, Tante?»
    «Ja?» In ihrer Stimme lag Verwunderung. Adrian betrachtete sie genau, ihre Haltung, leicht vorgeneigt, mit der Hand an der Stuhllehne, ihre Mimik – müde. Und er wiederholte sich dieses ‹Ja?› im Geiste mehrfach. Müdigkeit, aber mehr konnte er nicht darin erkennen. Andererseits, sie belog ihn schon so viele Jahre. Ihn und wen eigentlich noch? Wieso hast du mir mein Erbe vorenthalten, wollte er sie fragen. Wieso hast du mir nie gesagt, dass ich Millionär bin? Wieso hast du mich so schuften lassen? Aber er tat es nicht. Er wusste selber nicht, warum. Tat sie ihm leid? Brachte er die Kraft für den Streit, der folgen musste, in diesem Moment nicht auf? Oder war es einfach nicht mehr wichtig?
    Maud wartete auf ihn. Er hatte ihr versprochen, mit ihr zu einer kleinen Feier zu gehen, einer Strandparty, wenn er ehrlich war, der ersten seit fünfzehn Jahren, an der er teilnehmen würde. Und er freute sich darauf. Freute sich auf Mauds Taille in seinem Arm, auf den Duft ihres Haares, auf die Musik, auf ein wenig Gelächter und einen Cocktail mit Schirmchen. Also fragte er nur: «Warst du in meinem Zimmer, während ich weg war?»
    Rose Ames blinzelte. «Du weißt doch, dass ich nie in dein Zimmer gehe, ohne dich vorher zu fragen, Adrian.» Sie wandte sich ab, um am Ofen zu hantieren.
    Adrian betrachtete ihren Rücken. Es war die erste Lüge, bei der er sie ertappte. Denn als er nach Hause gekommen war, mit nassen Haaren, dem Tode entronnen, aber glücklich, da hatte er nach der Dusche und nachdem es mit seiner Arbeit nicht so recht vorangehen wollte, noch einmal nach dem Buch gegriffen.
Die kleine Meerjungfrau
hatte noch immer in dem Regal gestanden. Er hatte das Buch aufgeschlagen und durchgeblättert, erst langsam, dann immer schneller. Er hatte den Brief noch einmal lesen wollen, dieses Schreiben, dessen Flehen um Geheimhaltung ihm nun, da er um die Größenordnung von Tante Roses Geheimnissen wusste, in einem ganz neuen Licht erschien. Er hatte ihn noch einmal lesen wollen, um vielleicht einen Hinweis auf das zu finden, was Rose noch alles verschwieg, und auf den Grund dafür.
    Aber der Brief war nicht mehr da gewesen. Adrian hatte das Buch geschüttelt: nichts. Er war auf die Knie gegangen, um zu sehen, ob er vielleicht unter die Möbel geflattert war, aber außer seinen eigenen Zeichnungen: nichts. Sogar die Unterlagen auf Tisch und Schreibtisch hatte er durchwühlt, um sicherzugehen, dass er das Schreiben nicht schon versehentlich herausgenommen und

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