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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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Einen kurzen Moment lang schämte er sich. Andererseits, vielleicht konnte er sie ja überzeugen? Das hier war groß, es war wichtig. Er musste es einfach wissen. In fünf Jahren würde er pensioniert werden. Er war nicht mehr der Jüngste. Und Michael Morningstar war klarer denn je, dass er nicht mit diesem ungelösten Rätsel würde sterben können.
    «Rose», begann er noch einmal.
    «Setz dich hin», unterbrach sie ihn. Sie musste nachdenken. Sie begriff das nicht. Was tat er in Christys Zuflucht? Und was war das für ein Zeug, das er dabeihatte? «Du hast hier nach Spuren gesucht? Nach was für Spuren?»
    Morningstar war gehorsam auf das Bett gesunken. «Damals, als dein Mann starb …»
    «Vielleicht sollten wir wieder zum Sie übergehen.»
    «Jedenfalls», fuhr er ungeduldig fort. «Da habe ich etwas Seltsames an den Leichen entdeckt. Genauer an einigen der Wrackteile. Etwas, das mich nicht ruhenließ. Eine Spur.»
    «Eine Spur», wiederholte Rose tonlos. «Was für eine Spur? Und warum habe ich nie etwas davon erfahren?»
    «Es hat vielleicht gar nichts mit dem Unfall zu tun», sagte Morningstar. «Ich will dich nicht verletzen, Rose. Es ist vielleicht nur die Neugier eines alten Wissenschaftlers, der nicht über seinen Schatten springen kann. Aber auf dem Schiff gab es Fingerabdrücke, Fingerabdrücke, die …» Er druckste herum und wusste nicht, wie er es ihr beibringen sollte. Wie stets, wenn er es laut aussprach, kam er sich selber wie ein Idiot vor. «… die nicht menschlich sind.» Endlich war es heraus.
    «So.» Rose sank auf einen Stuhl.
    «Ja.» Er schaute sie an, ein wenig erstaunt, dass sie sonst nichts sagte. Wo blieb das Donnerwetter, das Hohngelächter? Oder sah sie ihn jetzt so an, weil sie glaubte, er wäre ein Irrer, mit dem man sanft umgehen musste, damit er einem nichts tat?
    «Rose, bitte glaub mir, ich weiß, wie verrückt das klingt.»
    Sie lachte bitter auf. «Nichts weißt du», stellte sie fest. Dann, zu sich selbst, fuhr sie fort: «Was mache ich jetzt?»
    «Wie? Was hast du gesagt?» Morningstar versuchte aufzustehen. «Rose, bitte.»
    Auf der Treppe wurden Schritte hörbar. Dann stand Ondra in der Tür, das klatschnasse Kleid halb durchsichtig an den Körper geschmiegt, die nassen Haare wie Fesseln auf der Haut klebend. Ohne einen Ton zu sagen, schaute sie erst Rose an, dann Morningstar.
    «Er hat Jonas’ Fingerabdrücke», sagte Rose tonlos.
    Die unwillkürliche Handbewegung, die Ondra daraufhin machte, ließ Morningstar nach Luft schnappen. Sie streckte und ballte die Hand und ließ sie dann hinter ihrer Hüfte verschwinden.
    «Sie», sagte Morningstar und starrte sie an. «Das sind
Ihre
Spuren auf der Teetasse.»
    «Wir müssen irgendwas tun», sagte Rose, ohne Anstalten zu machen, sich zu erheben. Für den Moment hatte sie jede Kraft verloren.
    Ondra gab etwas wie ein Fauchen von sich. Mit einem leisen Schaudern bemerkte Morningstar, dass ihre Zähne ein klein wenig spitzer waren als üblich. Wenn man es nicht wusste, fiel es einem nicht auf. Jetzt aber … Aus irgendeinem Grund dachte er einen Moment lang an den riesigen Aal. Seine Gänsehaut wollte nicht weichen. Und doch jubelte alles in ihm. Das Geheimnis, sein Geheimnis, er war ihm auf der Spur.
    «Vater hatte recht», sagte Ondra tonlos. «Man darf die Grenzen nicht verwischen. Es führt nur zu Chaos.»
    Morningstar sah seine Chance. Vorsichtig hob er die Hände. «Vielleicht kann ich Sie beide beruhigen», begann er. «Rose, Christy! Darf ich Christy sagen? Es ist keinesfalls meine Absicht, Chaos zu verursachen oder irgendwie in Ihr Leben einzugreifen. Bitte verstehen Sie mich, es ist rein wissenschaftliche Neugier, die mich antreibt, nichts Böses. Ich will nur verstehen …»
    «Wissenschaft! Neugier! Worauf ihr neugierig seid, das sucht ihr. Ihr findet es, stehlt es, zerstört es und alles mit, was dazugehört. Ihr seziert es, präpariert es …» Ondra schüttelte sich. «Dann findet ihr heraus, wie sich daraus Geld machen lässt. Vielleicht nicht Sie», gab sie zu, als Morningstar widersprechen wollte. «Aber irgendjemand. Irgendjemand tut es immer. Langsam verstehe ich meinen Vater.»
    «Sie können sicher sein, dass nichts, was Sie mir sagen, jemals die vier Wände dieses Zimmers verlassen wird.» Um seine Absicht zu unterstreichen, setzte Morningstar sich hin. Er wandte sich an Rose. «Ihr Mann war kein Mensch», sagte er.
    Rose gab einen Laut von sich, den man als Lachen interpretieren konnte. Dann

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