Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
Vom Netzwerk:
nach ihr kam und dass es ihm das Leben womöglich schwergemacht hatte über die Jahre, und sie verspürte ein vages Schuldgefühl.
    «War’s das?», fragte Harriet.
    Rose zuckte zusammen, bis sie begriff, dass ihre Bekannte mit den Fischern redete.
    Die wurden mit einem Mal gesprächig. «Leergefegt» sei das Meer, erklärten sie. So etwas hätten sie noch nie erlebt. «In der Bucht war kein einziger Fisch zu finden. Am Kap nix, nix draußen am ‹Free Man’s Point›. Wir mussten über fünfzig Meilen weiter südlich fahren. Und trotzdem …» Sie debattierten eine Weile.
    Rose wollte wissen, ob das die Auswirkungen der Überfischung seien, von der man immer im Fernsehen höre. Es hatte sie schon lange gewundert, dass es immer hieß, die Meere seien so gut wie tot, und in den Tiefkühltruhen der Supermärkte stapelten sich die Fischstäbchen, sodass man sich einfach nicht vorstellen konnte, dass es je wirklich enden würde.
    «Ach was», sagte einer der Männer und spuckte aus. «Gestern waren sie noch da, heute weg, das ist keine Umweltkatastrophe. Nicht so plötzlich.»
    «Was ist es denn dann?», fragte Harriet, die gerade berechnete, dass der heutige mickrige Erlös einer Katastrophe schon ziemlich nahe kam.
    Im Hintergrund tuckerte ein weiteres Schiff in den Hafen. Zwei Mann standen an der Reling, rauchten und winkten und schauten düster drein.
    «Nichts», verkündete Roses Gegenüber und spuckte ins Wasser. «Sie sind drei Stunden nach uns raus. Und sie sagen, da ist gar nichts mehr.» Er steckte die Hände in die Taschen und stakste zu seinen Freunden hinüber, die den Kollegen beim Anlegen halfen, um den Austausch über die Reling hinweg fortzusetzen.
    «Es gibt vor Broxton keine Fische mehr?» Rose wollte es nicht glauben. «Ja, aber warum …?», wandte sie sich wieder an Harriet.
    Doch die Frau des Pensionsbesitzers hatte sich bereits abgewandt und grub in ihrer Schürzentasche nach den Autoschlüsseln. Die Fische mussten zum Großmarkt. Sie hob die Hand zum Gruß durch das Fenster, während sie den Motor startete, der ratterte und keuchte. Rose winkte höflich hinterher. Dann blieb sie alleine zurück, mit den letzten Flundern der Küste und der Erkenntnis, dass die Frauen von Broxton ihre Geheimnisse ebenso gut wahrten wie das Meer.
     
    «Was sagst du? Bambusfasern?» Morningstar brüllte in die Freisprechanlage und überholte einen Porsche, um mit quietschenden Reifen vor einer roten Ampel abzubremsen. Er konnte es sich einfach nicht angewöhnen, in Zimmerlautstärke mit Menschen zu sprechen, die Meilen entfernt und nur elektronisch mit ihm verbunden waren. Der Neandertaler in ihm verlangte wenigstens nach einem Hörer. «In den Druckstellen? Sicher? Ah, unterm Mikroskop. Das ist interessant. Nein. Ich sag’s ihm selber.»
    Er wandte sich Ondra zu, die blass und stumm auf dem Beifahrersitz hockte. «Alles okay?», fragte er, um gleich wieder in doppelter Lautstärke fortzufahren: «Nein, ist was Persönliches. Du willst doch immer noch da hin? Nach Broxton?», erkundigte er sich dann wieder sanfter bei seiner Mitfahrerin. Er bremste ab und hupte: «Arschloch. Wenn wir erst auf die Küstenstraße kommen, wird es besser. Christy? Ich meine: Ondra?» Als er endlich wieder seine Aufmerksamkeit vom Verkehr abwenden konnte, warf er ihr einen besorgten Seitenblick zu. «Ondra?» Was er sah, ließ ihn abrupt bremsen. Hinter ihm hupte es. Hektisch kurbelte Morningstar am Lenkrad, um eine Kollision zu vermeiden. Der Wagen schlingerte über die Fahrbahn, kam dann aber wieder unter Kontrolle. «Andrew? Ich rede mit Knightley, versprochen. Ich ruf dich zurück, ja?»
    Morningstar schaltete sein Telefon aus, trat aufs Gas, ließ die letzten Häuser der Stadt hinter sich und fuhr mit Schwung auf einen Parkplatz. Es war eine Ausbuchtung über der Küste, umgeben von einer halbhohen Natursteinmauer, an der ein überquellender Mülleimer festgeschraubt war. Flaschen schepperten, als Morningstars Wagen zum Halten kam und er die Tür öffnete, damit Ondra frische Luft bekäme. Abgase quollen herein, dezenter Fäulnisgeruch, das Aroma schalen Bieres und endlich: das Salz des Meeres. Man sah auf die Ausläufer der Bucht hinaus, dort, wo sich das hellere Blau verabschiedete zugunsten des tiefen Dunkels der hohen See, das vom Licht des späten Nachmittags blass vergoldet wurde. Die Haut des Meeres runzelte sich dort, wo sie sich bis zum Horizont streckte.
    Morningstar atmete tief durch und ließ sich in seinen Sitz

Weitere Kostenlose Bücher