Meerestochter
Sie strich sich eine Strähne aus dem unschönen Gesicht. «Es ist schon eine schlimme Sache mit dem Geld. Wenn man nicht so drauf achten müsste, wär’s anders.»
Es lag Rose auf der Zunge zu fragen, wie es mit der Pension lief. Schon seit Jahren, seit sie Harriet kannte, schuftete die junge Frau. Sie kochte und putzte im Seaside Home, hatte diesen Job hier bei der Fischereikooperative, und bei Patrick half sie, wenn eine Inventur anstand oder Lagerarbeiten, und sie reinigte ab und zu abends den Laden. Manchmal fragte Rose sich, was Ned eigentlich machte, außer der Buchhaltung und Konversation mit den Gästen, vor allem den weiblichen, was man so hörte. Natürlich stand er auch viel bei Patrick herum, trank Bier mit den anderen – und angeblich hatte er eine Leidenschaft für Hunderennen. Aber das wurde nur hinter vorgehaltener Hand erzählt. Harriet tat ihr leid.
«Falls es dir ein Trost ist, ich habe nicht vor, Adrian vom Verkauf abzuraten oder mich irgendwie einzumischen.» Es rutschte ihr heraus, ehe sie nachdenken konnte. Sie hatte selbst nicht gewusst, wie fest dieser Entschluss bereits war. «Er wird entscheiden, wie es weitergeht.»
«Ah?» Harriet hielt inne und wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. «Dann wird ja alles gut.»
«Ist das so?», fragte Rose bitter.
Harriet neigte den Kopf schräg und schaute Rose lange an, während sie sorgsam ihre Hände an der altersgrauen Schürze trocken rieb, rote, spröde gewordene Hände, die noch am nächsten Tag nach Fisch stinken würden. «Also, ich bin
für
den Park», begann sie langsam, wie es ihre Art war.
«Ja?», fragte Rose, die sich sicher war, dass da noch mehr kommen würde.
Harriet zögerte. «Wegen dem Mädel allerdings, der Maud …»
«Also Mädel ist ja wohl ein bisschen übertrieben», konnte Rose sich nicht verkneifen anzumerken.
In Harriets Augen glomm eine gut verborgene Freude. Vielleicht, dachte Rose, die dieses sachte Zeichen von gemeinsamer Antipathie wohl erkannte, konnte sie Freude auch gar nicht mehr anders erleben als unterdrückt und heimlich. Sie beschloss, es Harriet leichtzumachen, und fügte hinzu: «Diese Provinz-Mata-Hari.»
Das schien zu viel gewesen zu sein. Harriets Blick wich ihr aus. «Er sollte halt nicht voreilig sein», murmelte sie.
«Voreilig? Du meinst, was schwerwiegende Entscheidungen angeht, oder was?» Rose erhielt keine Antwort. «Oh, ich wünschte, ich könnte …» Sie bemerkte, wie das Thema Maud sie aufregte. «Wie oft hab ich ihm schon gesagt, lass die Finger von der, aber …»
«Man kann nix machen.» Harriet brachte das hervor wie ein Glaubensbekenntnis. Knapp und endgültig. Dann widmete sie sich wieder ganz ihrem Fisch.
«He, Harriet», rief jemand vom Schiff her. Mit Schwung krachte eine Kiste Seezungen auf den Kai.
Die junge Frau seufzte.
Rose begutachtete die neue Ladung. «Also, von denen würde ich drei nehmen.»
Harriet stimmte zu, indem sie eine Handwaage herauszog, die Fische abwog, sie in Papier einwickelte und mit Bleistift darauf den Preis ausrechnete. «Schön püriert mit Erbsen, und dann mit Kartoffelbrei überbacken», meinte sie, als sie Rose das Päckchen übergab.
Rose nickte.
Harriet zögerte. «Und du?», fragte sie. «Kommst du denn da oben zurecht? Wenn jetzt …» Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
«Wegen dem Geld, meinst du?» Rose lachte. «Ich hab nie viel gebraucht. Ich führ mein Leben, Harriet, wie eh und je.» Sie ließ ihren Blick über die Bucht schweifen, dachte dabei an Morningstars Boot, errötete innerlich und log ein wenig: «Ich hab nie was anderes gewollt.»
«Bist zu beneiden.»
Das klang so aufrichtig, dass Rose unwillkürlich in Harriets Gesicht schaute. Aber das sah nicht unglücklich aus, oder wütend oder neidisch. Nur verschlossen. Was immer sie für Sorgen hatte, sie würde sie vermutlich nicht mit Rose teilen. Ob sie mit jemandem redete?, überlegte Rose. Die Männer hingen bei Patrick herum; gab es für die Frauen ein ähnliches Treffen, ein Kränzchen in der Pension oder neben dem Spülstein im Siren’s Pub, wenn die Gäste gegangen waren, oder an einem anderen diskreten Ort? Oder traf Harriet alleine ihre Entscheidungen?
Rose wusste es nicht, da sie sich immer schon von den Geselligkeiten des Ortes ferngehalten hatte. Nicht erst seit Jonas. Es war ihr nie schwergefallen, für ihn zu schweigen, da sie nie viel mit den Menschen hier geredet hatte. Rose seufzte, als sie daran dachte, dass Adrian darin vermutlich
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