Meerestosen (German Edition)
Ausschau nach Kyan.
Der ist unsichtbar, knurrte ich.
Wissen wir, sagte Idis mit leicht genervtem Unterton . Aber um die Nixe an Land führen zu können, muss er sich ja irgendwann zeigen. Sie sah mich durchdringend an. Wir wissen schon, was wir tun.
Aber die Hainixe ..., wollte ich einwenden, doch Idis ließ mich nicht ausreden.
Entweder sie bekommen eine Gratis-Theatervorstellung oder sie greifen uns Damen ganz gentlemanlike unter die Arme.
Zugegeben: Es klang alles wohldurchdacht und auch durchaus so, dass es klappen könnte. Trotzdem gefiel mir die Sache nicht. Keine Frage, die Nixe mussten am Landgang gehindert werden, und der Umstand, dass die Mädchen sich gegen das Gebaren ihrer männlichen Artgenossen auflehnten, imponierte mir, die Aussicht, dass sie zu diesem Zweck bereit waren, ein Blutbad an zurichten, allerdings überhaupt nicht. Und dabei spielte die Über legung, was die Inselbewohner wohl denken mochten, wenn das Meer sich ihnen bei Tagesanbruch nicht türkisfarben, sondern rot schimmernd präsentierte, nur eine untergeordnete Rolle.
Idis …, begann ich, noch unschlüssig darüber, mit welchen Ar gumenten ich sie davon überzeugen sollte, dass es vollkommen ausreichte, ausschließlich Kyan zu töten, da wurde meine Auf merksamkeit auf ein entferntes Dröhnen gelenkt, das sich uns von Norden her näherte.
Idis’ und Malous Augen weiteten sich. Alarmiert sahen sie mich an. Die Menschen … Wissen sie Bescheid?
Ich konnte darauf nicht antworten, ich war nicht mal in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, sondern folgte – wie so oft in unübersichtlichen Situationen – allein meinen Reflexen.
Vertraut mir!, zischte ich, dann schoss ich los. Mein Körper war ein einziger Flossenschlag, der mich in rasender Geschwindigkeit unter den Delfin hinwegschnellen ließ und nur einen Atemzug später aus dem Wasser hinaus auf die Klippen katapultierte.
Der Himmel über dem Meer war tiefschwarz. Nur das diffu se Leuchten über dem Horizont ließ den Vollmond erahnen. Dunkles Grollen rollte aus der Ferne auf mich zu. Ein gleißend heller Blitz durchschnitt die stickige Atmosphäre und entlud sich im aufgewühlten Meer. Mächtige Wellen hatten sich aufgetürmt, rauschten laut dröhnend auf die Klippen zu und warfen hausho he Gischtfontänen in den Himmel.
Obwohl mir diese Bilder seltsam bekannt vorkamen, kümmer te ich mich nicht darum, sondern rannte, nackt wie ich war, unbe irrt über die glitschigen Steine in Richtung Norden.
Wäre das Steuerhaus des Tankers nicht beleuchtet gewesen, hätte er sich wahrscheinlich kaum vom Nachthimmel abgehoben und wäre möglichweise sogar meinen Augen verborgen geblieben. Wie ein schwarzes Ungeheuer schob er sich durch die wogende See auf die Perelle Bay und die Delfine zu.
Sie machen es also wahr!, durchzuckte es mich. Entsetzen brach sich in mir Bahn, und für einen Moment war ich so erschüttert, dass ich nicht mehr auf meine Schutzhülle achtete. Jane hatte nicht gelogen. Die Menschen wollten die Nixe tatsächlich vergif ten. Und ich war die Einzige, die ihnen helfen und das Schlimms te vielleicht noch verhindern konnte.
»Neiiin, Elodie! Tu das nicht!«
Es war Gordys entsetzte Stimme, die der Wind zu mir herüber trug. Ich blickte mich nach ihm um, konnte ihn aber nirgends entdecken, also wandte ich mich wieder nach vorn und dem Tan ker zu, schlug einen Bogen bis an die Felsspitze, die hinter Fort Richmond ins Meer ragte, und warf mich mit einem gewagten Sprung in die tosenden Fluten.
Nein, Elodie, neiiin! Gordians Stimme füllte mein Becken und drohte mich zu zersprengen, aber ich hörte nicht auf ihn. Nach allem, was inzwischen passiert war, hatte er mir nichts mehr zu sagen. Ich wusste genau, was ich zu tun hatte.
Mit aller Kraft schlug ich meine Schwanzflosse hin und her und diesmal nahm ich sogar meine Arme zu Hilfe. Ich musste unter al len Umständen verhindern, dass der Tanker seine Klappen öffne te, und wenn es mich das Leben kostete. Jetzt zählte jede Sekunde.
Ich hielt mich knapp zwei Meter unter der aufgewühlten Ober fläche und spürte den Sog der Wellen, der mein Fortkommen aber nicht zu bremsen vermochte. Irgendwo im Kanal schlug ein Blitz ein, der die dunkle See für wenige Augenblicke unheimlich aufscheinen ließ. In diesem Licht erkannte ich zu meiner Linken die silbrig schimmernden Leiber der Delfine. Rechts von mir und bereits zum Greifen nah erhob sich der Leib des Tankers, der in zwischen zum Stillstand gekommen war. Seinen
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