Meerestosen (German Edition)
schwenkte abermals die Arme hin und her. »Hilfe!«
Einen schrecklich langen Moment passierte überhaupt nichts, dann schnellte einer der Männer zurück und brüllte: »Mann über Bord! Luken schließen!«
Ein Scheinwerfer hüllte mich in blendend grelles Licht und ein Rettungsring an einem langen Seil landete klatschend neben mir im Wasser.
»Keine Angst, Mädchen, wir holen dich da raus!«, schrie einer der Männer zu mir herunter und mit einem Schlag war sie wieder da, die Angst. Nicht vor dem Meer, nicht vor dem Tod, sondern vor den Menschen. Wie würden sie reagieren … Was würden sie tun, wenn sie erkannten, was ich war?
Mit zitternden Fingern zog ich den Ring zu mir herüber und schlüpfte hinein.
»Alles klar, Mädchen?«
Ich blinzelte gegen das Licht und nickte.
»Dann ziehen wir dich jetzt hoch.«
Das Seil straffte sich, ich spürte einen Ruck, dann wurde ich langsam angehoben.
»Pass auf, dass du nicht gegen den Rumpf schlägst!«, rief einer der beiden, die mich hinaufzogen. »Drück dich mit den Füßen ab.«
Klar, sobald ich welche hatte. »Haben Sie die Luken geschlos sen?«, rief ich zurück. »Da unten sind Hunderte Delfine.«
»Ach, Gott!« Ein stämmiger Kerl beugte sich über die Reling. »Das ist eine von diesen Fanatikern, die sich aus lauter Liebe zur Umwelt sogar freiwillig dieser Bestie vors Maul schmeißen.«
»Es gibt keine Bestie!«, brüllte ich. »Zumindest nicht so, wie Sie sie sich vorstellen.«
Unterdessen hatten mich die beiden, die das Seil hielten, bis weit über die Hüften aus dem Wasser gezogen.
»Scheiße! Verdammt!«, keuchte der eine. »Das gibt es doch gar nicht … D-das ist so eine …«
Das Seil gab nach und ich rauschte mitsamt dem Rettungsring ins Meer zurück.
»Soll sie doch an dem Cocktail ersticken!«
»Stopp!« Es war die Stimme des Stämmigen, die den anderen Einhalt gebot. »Zieht sie wieder hoch! Sofort!«
Es folgte ein Stimmengewirr. Protest. Und ich steckte noch immer im Rettungsring, dem entlarvenden Licht des Scheinwerfers preisgegeben und den Blick hoffnungsvoll auf die Männer an der Reling geheftet.
»Dane hat recht!« Das sagte eine Stimme, die ich bisher noch nicht vernommen hatte. »Es ist ein Mädchen. Was soll sie uns schon anhaben?«
Wieder Stimmengewirr, dann ein paar zustimmende Rufe und schließlich abermals ein Ruck am Seil. Diesmal schienen ein paar mehr Hände zugegriffen zu haben, denn nun wurde ich in Win deseile nach oben gezogen. Sobald meine Flossenspitzen keinen Kontakt mehr zum Wasser hatten, griff ich nach meiner Haut. Mein Haischwanz verwandelte sich in Beine und jeder der Män ner auf dem Schiff konnte es sehen.
Ein paar Sekunden verharrte der Ring auf der Stelle, dann ging es plötzlich rasend schnell weiter, und kurz darauf sah ich mich einer Gruppe von Männern gegenüber, die einen in Uniform, die anderen in einfachen Arbeiterklamotten, alle mit einer Mischung aus erwartungsvollem Staunen und Furcht in den Mienen.
Ich umfasste die Reling und zwei der Männer griffen mir unter die Achseln, hievten mich an Deck und zerrten mir die Arme auf den Rücken. Ich spürte kühles Metall um meine Handgelenke, dem ein unheilvolles Klicken folgte, mir blieb nicht einmal die Zeit, mir meine Haut umzulegen.
»Das ist sie!«, kreischte eine schrille Mädchenstimme. »Elodie!« Einen Atemzug später zwängte Aimee sich zwischen den Män nern durch und starrte mich mit irre funkelnden Augen an. »Elo die Saller. Sie ist eine Nixe. Ich habe ihren Schwanz gesehen. Sie hat …« Aimee brach ab und wandte sich zu dem stämmigen Mann um.
»Na, sag schon«, forderte ich sie auf. »Was habe ich?«
»Nichts getan, Dad«, brabbelte Aimee. »Nichts getan. Mir den Arm verbunden. Sie war sehr nett.«
»Ich habe dich aus dem Wasser gefischt!«, brüllte ich sie an. »Ohne mich wärst du jämmerlich ersoffen.«
Der Mann, der offenbar ihr Vater war, sah sie durchdringend an. »Stimmt das?«
»Ja, ja, ja!« Aimee machte eine verzweifelte Geste. Ihr Blick fla ckerte. Sie konnte weder mir noch ihm direkt ins Gesicht schau en. »Aber sie kennt den Nixenmann, der keinen Schatten wirft!«
»Er ist genauso wenig gefährlich wie ich«, erklärte ich und be mühte mich nun um einen möglichst unaufgeregten und sachli chen Tonfall. »Sie können mir die Handschellen also ruhig wieder abnehmen.«
»Das könnte dir so passen!«, knurrte einer der beiden Männer, die trotz der metallenen Fesseln noch immer meine Oberarme umfassten und mir
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