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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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erschlaffte und sank auf die wuselnden Fischleiber herab, die erschrocken unter ihm hervorstoben und sich voller Panik ge gen das Netz drückten.
    Eigentlich müsste man sie alle töten, murmelte ich.
    Cyril schüttelte unwillig den Kopf. Ich glaube nicht, dass das dem Willen des Meeres entspricht, sagte er. Wünschen wir ihnen lieber, dass einige von ihnen sich einem Orca oder einem anderen Zahnwal opfern dürfen. Der könnte das Netz zerstören und ein großer Teil der Tiere käme frei.
    Ich sah ihn mit großen Augen an. Ist so etwas schon mal vorgekommen? Ich meine, ist das überhaupt realistisch?
    Cyril zuckte mit den Schultern. Sagen wir mal so: Mittlerweile ist es realistischer geworden.
    Wie meinst du das?, gab ich stirnrunzelnd zurück.
    Das solltest du eigentlich am besten wissen, erwiderte er. Du und Idis. Dann machte er eine Kehrtwende und entfernte sich mit gleichmäßigen, allerdings nicht allzu dynamischen Flossenschlä gen in die entgegengesetzte Richtung.
    Ich verstand zwar nicht, was Idis und ich mit Walen zu tun haben sollten, dafür begriff ich etwas anderes: Cyril wollte nun endlich heim. Ich hatte gesehen, was ich sehen sollte, und eine sehr spezielle Erfahrung gemacht, die mich nun, allein vor dem riesigen Treibnetz voller Fische und mindestens einem toten Delfin, mit stiller Ehrfurcht erfüllte. Meine Gedanken sprangen von mir und Idis zu den Walen und schließlich zu Jane und dem, was sie einmal über Gordian gesagt hatte. Und plötzlich bekam das, was Cyril eben angedeutet hatte, einen Sinn.
    Gordy , wisperte ich, und schon spürte ich sie wieder, diese sanf te Wärme, die meinen ganzen Brustkorb ausfüllte.
    Als wäre Gordian in mir, so stark fühlte ich die Verbindung zu ihm. Es war ein wunderschönes, geradezu beseelendes Gefühl, ihn auf diese Weise wahrzunehmen und zu wissen, dass ich ihn durch mich handeln lassen konnte. Aber gleichzeitig spürte ich auch den Schmerz, den die nagende Sehnsucht nach ihm, nach seinen Berührungen und seinen Küssen hervorrief.
    Gordy, ich liebe dich, flüsterte ich ihm zu. Und ich bitte dich: Schicke einen Wal. Ich weiß, du kannst es. Frag mich nicht, wieso, aber ich bin mir sicher: Das ist es, was Jane damals in dir gesehen hat.

    Ich ließ meinen Blick noch ein letztes Mal über das furchtbare Elend gleiten, welches das Treibnetz in seinem Inneren barg, dann wandte ich mich ab und folgte Cyril, der gerade einen Schwarm Heringe durchquerte und nebenbei eine Mahlzeit nahm.
    Fasziniert beobachtete ich, wie einzelne Tiere auf das Maul in seiner Außenhaut zuhielten und von dort aus geradewegs in sei nem Mund verschwanden. Cyril tötete jeden einzelnen Fisch mit einem schnellen gezielten Biss. Abgesehen von der Tatsache, dass sie sich, wie Gordy mir mehrfach versichert hatte, mehr oder we niger bewusst opferten, hätte ich schwören können, dass sie von ihrem Tod nicht das Geringste mitbekamen.
    Und dennoch: Dass du jetzt was essen kannst!, wunderte ich mich.
    Ich habe einen Bärenhunger, erwiderte Cyril. Du nicht?
    Nein! Im Gegenteil. Mein Magen fühlte sich wie zugeschnürt an.
    Aber Cyril hatte natürlich recht. Mein Körper war sehr viel kraftloser als vor ein oder zwei Tagen. Trotzdem würde ich erst wieder etwas zu mir nehmen, wenn ich bei Tante Grace war.
    Allein die Erinnerung an ihre kleine Küche und die köstlichen Düfte, die das Cottage Tag um Tag durchzogen, ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Und plötzlich hatte ich doch Hunger.
    Mein Blick schweifte von einem Hering zum nächsten, eini ge strichen durch meine Haare, einer schmiegte sich im Vorbei schwimmen an meine Wange und ein anderer zupfte sogar mit seinem Mäulchen an meinen Lippen. Ich wusste, er war bereit, mir als Nahrung zu dienen, und ich bedankte mich dafür bei ihm.
    Mir ist mehr nach etwas aus Teig und Gemüse, entschuldigte ich mich, schob den Hering vorsichtig zur Seite und hielt tapfer Cyrils Tempo.
    Von der besonderen Energie und Leichtigkeit, mit der das Meer mich ausgestattet hatte, spürte ich nicht mehr viel. Meine Flossen schläge waren genauso schwach wie vor ein paar Tagen, als ich mit Gordian in den Atlantik hinausgeschwommen war. Cyril dagegen hatte die Heringsmahlzeit offensichtlich gestärkt, denn er glitt be neidenswert kraftvoll und geschmeidig voran.
    Mittlerweile hatte das Wasser wieder eine angenehme Tempe ratur angenommen, Trübheit und schlechter Geschmack waren vollständig verschwunden. Von der Fahrrinne des Kanals brumm ten nun zwar

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