Meerestosen (German Edition)
Wasser aus Ashtons Lungen zu pressen.
Wie eine Irre drückte ich auf seinem Brustkorb herum, schlug Ashton ins Gesicht, brüllte ihn an, dass er Ruby nicht verlassen dürfe, dass er bei ihr bleiben müsse, doch mit jedem Schlag, mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde mir mehr und mehr bewusst, dass alles, was ich tat, vollkommen aussichtslos war.
Ashton lag einfach da. Totenbleich. Totenstill.
Sein Teddybärblick war in weite Ferne gerückt. Und was das Verrückte war: Auf seinen Lippen lag ein Lächeln.
»Ashton«, flüsterte ich.
Zärtlich fuhr ich mit den Fingern über seine Wangen, seine Stirn und sein Haar. Jeder einzelne Augenblick, den ich mit ihm geteilt und alles, was ich mit ihm und Ruby erlebt hatte, zog in langsamen Bildern an mir vorüber.
»Warum nur? Gordy, warum?«
Erst jetzt spürte ich Gordians heilende Wärme, die von mei nem Herzen über meine Arme bis in meine Hände ausstrahlte. Sie hatte nicht gereicht, um Ashton zurückzuholen, aber wenigs tens konnte ich mich damit trösten, dass sein letzter Gedanke of fenbar ein schöner gewesen war. Vielleicht hatte er Gordy und mich noch einmal gesehen. Ganz sicher aber hatte er an Ruby gedacht. So selig, wie er lächelte, musste er ihr dabei sehr nah gewesen sein.
Kyan ließ sich zwischen zwei spitz zulaufenden Felsen auf den Meeresgrund sinken und wartete geduldig, bis seine Außenhaut die optische Struktur seiner Umgebung annahm.
Die drei Nixe, die das Boot zum Kentern gebracht und das Mädchen mit den kurzen dunklen Locken hinter einem Riff in die Tiefe gestoßen hatten, mussten noch ganz in der Nähe sein.
Langsam glitt Kyan über den Sand. Die Bewegungen seiner Flossen waren kaum mehr als ein leichtes Zittern, vergleichbar mit dem Wogen eines Seegrasbüschels in der Strömung. Er hatte das in den letzten Tagen unermüdlich trainiert und war sich mittlerweile sicher, dass er auf diese Weise von niemandem wahrgenommen wurde. Und was das Faszinierende war: Seine drei Artgenossen schienen über das gleiche Talent zu verfügen wie er. Auch sie waren inzwischen mit ihrer Umgebung verschmolzen, sodass Kyan sie weder sehen noch ihre Signale empfangen konnte. Aber er witterte das Mädchen.
Es war einen tragischen, sinnlosen Tod gestorben. Denn leider hatten die drei Fremdlinge nicht ahnen können, dass es eine weitaus genussvollere Methode gab, einem Menschen das Leben zu nehmen.
Für einen Moment sah Kyan Lauren vor sich, er erinnerte sich an das fröhliche Blitzen in ihren Augen und den goldenen Schimmer ihres Haars, hörte ihr helles Lachen und roch den warmen Duft ihrer Haut. Kyan verspürte einen Moment der Reue und ein gewisses Bedauern darüber, dass er sie nie wieder würde küssen können, aber er wusste, er hatte das Richtige getan. Das Meer hatte es so gewollt und seinem Willen musste er sich beugen. Schließlich hatte es große Pläne mit ihm und diese fremden Artgenossen kamen ihm dabei wie gerufen. Sie würden der Anfang für ein neues Bündnis sein, mächtiger als alle, die je existiert hatten. Eine Allianz, die das Meer formte, um den Menschen und den Haien zu demonstrieren, wer die wahren Herrscher auf diesem Planeten waren.
Beflügelt von dieser Vision, schob Kyan sich über das Riff hinweg. Dahinter eröffnete sich ihm ein Blick in die Weite des Ärmelkanals. Und nun sah er es wieder, das Mädchen mit den großen schwarzen Augen und den hübschen Locken, wie es in der Strömung tanzte und von den Stößen unsichtbarer Nixe der englischen Südküste entgegengetrieben wurde.
Kyan drückte sich von der Oberkante des Riffs ab. Er spürte, wie seine Außenhaut die Beschaffenheit des Wassers, das seinen Delfinleib umspielte, scannte und in der gleichen Sekunde kopierte, und beschleunigte sein Tempo.
Schon bald hatte er seine Artgenossen bis auf wenige Meter eingeholt und nun vernahm er auch ihre Gedanken.
Was er da hörte, gefiel ihm ausnehmend gut.
Das Mädchen war doch nicht sinnlos gestorben. Oh, nein. Seine zukünftigen Kameraden hatten es gezielt getötet, um etwas ganz Bestimmtes mit ihm zu tun.
Kyan lächelte in sich hinein. Die Idee hätte von ihm sein können.
Ich war so sehr mit Ruby und Ashton beschäftigt gewesen, dass mir keine Zeit blieb, mich darüber zu wundern, weder eine Menschenseele auf den Klippen noch unten am Strand der beiden Buchten oder an der Befestigungsmauer rund um das Fort gesehen zu haben.
Erst ganz allmählich mit dem Begreifen dessen, was geschehen war, und der Stille, die Ashton und mich
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