Meerestosen (German Edition)
hat sich nicht unterkriegen lassen. Er ist sogar in dieses kleine Boot gestiegen, obwohl er nicht schwimmen konnte.«
Mit einem Satz war Ruby aufgesprungen. »Das musst du mir nicht sagen. Ich weiß selbst, dass es meine Schuld ist!«, brüllte sie mich an.
»Nein«, sagte ich. »Die Wahrheit ist: Du wolltest Moira nicht allein rausfahren lassen. Und Ashton wollte es dich nicht mit ihr allein machen lassen. Er hat das so entschieden. Er ganz allein.«
Sie stand nur da und sah mich an. Und dann, ganz plötzlich, legte sie los:
»Mensch, Elodie, du hättest Moira mal erleben müssen. Sie war total durchgeknallt. Sie hätte es auf jeden Fall getan. Auch allein. Und ich war so bescheuert zu glauben, dass ich ihr eventuell helfen könnte … also, falls ihr etwas geschieht … oder es schaffe, sie doch noch zurückzuhalten. Keine Ahnung. Keine Ahnung. Ich weiß einfach nicht mehr …« Sie senkte den Blick und fing wieder an zu weinen. »Ich weiß nicht mehr weiter, Elodie … Irgendwie habe ich sogar gehofft, dass es Gordy wäre. Ich hab doch überhaupt keine Ahnung … Woher soll ich denn wissen, was mit dir und ihm passiert ist?«
Es war Gordy, dachte ich und streckte ihr meine Hand entge gen. »Komm her. Setz dich zu mir … und zu Ashton.«
Wieder sah sie mich nur an.
»Komm, Ruby«, wiederholte ich. »Komm einfach her.« Ich wedelte hartnäckig mit der Hand, so lange, bis sie sie ergriff. »Setz dich auf seine andere Seite. Ashton wartet so sehnsüchtig darauf, dass du ihn noch einmal berührst. Ein einziges Mal noch, Ruby … nach diesem schrecklichen Erlebnis.«
Die Tränen rannen ihr wie Sturzbäche die Wangen hinunter. Sie wischte sich wieder und wieder übers Gesicht, aber sie nickte. Sie nickte und sie kniete sich hin und tastete nach Ashtons rechter Hand.
»Halte ihn«, wisperte ich. »Halte ihn ganz sanft, damit er keine Angst haben muss.«
»Ja«, hauchte Ruby. »Ja.« Sie legte Ashtons Hand in ihren Schoß und streichelte die Innenfläche. »Er ist noch ganz warm, Elodie, noch ganz warm.«
»Ich weiß«, flüsterte ich. »Vielleicht ist er noch hier und möchte, dass du …«
»Ich liebe dich«, stieß sie hervor. »Hörst du, du dummer Kerl, ich liebe dich so sehr. Es tut mir so leid … Du hättest nicht mitkommen dürfen.«
»Dann wärst du jetzt möglicherweise nicht mehr am Leben und Ashton säße hier an deiner Stelle«, sagte ich. »Wäre dir das lieber gewesen?«
Ruby schüttelte den Kopf. »Nein, aber …«
»Tschüs, Ashton«, murmelte ich. »Ich werde dich nie vergessen. Und jetzt lasse ich dich mit Ruby allein und …«
»Nein, nein, bitte bleib hier, El, bitte!« Rubys Stimme über schlug sich fast.
»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte ich sie, da bemerkte ich aus dem Augenwinkel den dunklen Schatten, der von Fort Hommet aus über die Klippen herunterhuschte, und nur einen Atemzug später stand Cyril neben uns.
Als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, setzte er sich wieder hinter Ruby und legte behutsam seine Arme um sie.
»In ungefähr zehn Minuten werden sie hier sein«, sagte er an mich gewandt.
»Was wirst du ihnen erzählen?«
Sicher nicht, dass vermutlich ein paar Delfine das Boot gekentert haben, erwiderte Cyril und sein Blick intensivierte sich.
»Ich werde ihnen sagen, dass Moira total betrunken war«, kam es stockend von Ruby. »D-das ist nichts Ungewöhnliches hier. Ashton und ich wollten sie davon abhalten, das Boot zu nehmen, aber Moira hat nicht mit sich reden lassen. Es kam zum Streit … zum Handgemenge … und dann ist Moira über Bord gefallen. Wir ha ben versucht, sie ins Boot zurückzuziehen, dabei ist es umgekippt.«
Ungläubig starrte ich sie an. Kamen diese Sätze wirklich von Ruby? Wann, zum Teufel, hatte sie sich diese Geschichte ausge dacht?
»Guck nicht so«, brummte sie. »Es ist doch alles schon schlimm genug … es muss ja nicht unbedingt …«
»Danke, Ruby«, sagte ich rau und küsste sie auf die Wange. Dabei fing ich Cyrils Blick ein.
Wirst du es schaffen?, fragte er besorgt.
Klar. Es ist ja nicht weit.
Ich komme später nach … Wenn du willst.
Ich nickte kaum merklich, küsste Ruby noch einmal und flüsterte an ihrem Ohr: »Bis bald. Ich würde jetzt sooo gerne bei dir bleiben, aber …«
»Schon okay«, sagte sie und brachte unter Tränen tatsächlich ein Grinsen zustande. »Du hast nichts Passendes an …«
»Genau.« Ich drückte ihre Hand, dann erhob ich mich langsam und warf noch einen letzten Blick in
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