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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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umfing, bemerkte ich, dass die Nacht bereits hereingebrochen war. Ein grauschwarzer wolkenverhangener Himmel senkte sich auf das Meer und die Kanalinseln herab, so als wollte er all das Schreckliche unter sich begraben.
    Mein Gesicht war heiß, die Haut spannte von den vielen Tränen, die ich geweint und der Wind inzwischen getrocknet hatte. Von Norden her drangen unterdrückte Schluchzer an mein Ohr, Schluchzer, die sich nun langsam näherten, bis die dunklen Schemen von Cyril und Ruby auf den Klippen über mir auftauchten.
    »Warte, ich halte dich«, hörte ich Cyril raunen, doch Ruby schrie sofort: »Nein! Nein! Nein! Lass mich! Ich will zu ihm … Bitte, bitte! Ich will … Ashton, bitte nicht!«
    Zitternd drückte ich mich von den Steinen ab und hob mich in den Stand, konnte mich auf meinen wachsweichen Beinen allerdings kaum halten. Es war grausam, Ruby nach so langer Zeit unter diesen Umständen unter die Augen treten zu müssen, und einen Moment lang dachte ich das Gleiche, was auch Cyril vorhin bereits durch den Kopf gegangen war: Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, wenn sie diesen Unfall ebenfalls nicht überlebt hätte.
    Rubys und meine Blicke trafen sich für einen Sekundenbruchteil, dann war ihrer schon wieder fortgehuscht und heftete sich auf den dunklen Körper, der reglos zu meinen Füßen auf dem Felsen lag.
    »Ashton, bitte … bitte nicht«, wimmerte sie, während sie zu uns herunterkletterte. Viel zu schnell, viel zu unvorsichtig. Ein ums andere Mal rutschte sie von den feuchten Steinen ab. Hätte Cyril nicht ihren Arm ergriffen und sie sicher geführt, sie wäre unweigerlich gestürzt.
    Vor Ashtons Kopf sank sie auf die Knie, grub ihre Hände in seine Haare und streichelte sein Gesicht.
    »Geh nicht weg«, wisperte sie. »Bleib bei mir. Bitte, bitte … BITTTE!«
    Cyril hockte sich hinter sie, schlang seine Arme um sie und legte ihr sanft seine Hand über den Mund.
    Sein Gesicht war bleich und seine dunklen Augen glänzten feucht.
    Ich zog die Haihaut etwas fester über meiner Brust zusammen, verknotete sie mechanisch und ließ mich kraftlos auf einen Vorsprung sinken. Das Lebendige in mir war verstummt, ich hätte nicht einmal mit Bestimmtheit sagen können, ob mein Herz noch schlug.
    Ich sah, wie Cyril Ruby hielt, wie er behutsam seine Wange ge gen ihre schmiegte und wie sie sich allmählich beruhigte. Mir war klar, was er tat, und er hatte mein Einverständnis. Es war richtig, Ruby jetzt ihren Schmerz zu nehmen. Ihr blieben noch unendlich viele Tage, Wochen und Monate, in denen sie um Ashton trauern konnte. Für mich war es kaum vorstellbar, wie sie jemals darüber hinwegkommen sollte.
    »Erzähl uns, was passiert ist«, flüsterte Cyril.
    »Delfine«, murmelte Ruby. »Sie sprangen aus dem Wasser.«
    Das waren keine Tiere, warf ich Cyril zu. Ich wette, das sind die Chamäleonnixe gewesen. Denn genau dies war ihr Plan: Schiffe zu kentern! Außerdem habe ich ihr Zischeln gehört … kurz bevor wir Ruby und Ashton aus dem Wasser gezogen haben.

    Cyril musterte mich finster. Ich fürchte, du hast recht.
    »Und dann, Ruby?«, fragte ich. »Was ist dann passiert?«
    »Moira lehnte sich zu ihnen hinaus und plötzlich kippte d…«
    »Moira?«, unterbrach ich sie und beugte mich ein wenig vor, damit ich ihre leisen stockenden Worte besser verstehen konnte. »Willst du damit etwa sagen, dass außer Ashton und dir noch jemand im Boot gewesen ist?«
    Cyril sah mich fragend an. Hast du …?
    Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich hatte niemanden gesehen. Wir waren zu spät gekommen. Viel zu spät.
    Cyril senkte den Blick.
    Ich streckte meine Hand aus und berührte Ruby am Knie. »Wer ist Moira?«
    »Eine Deutsche.« Ruby wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Moira ist vor ein paar Tagen mit der Fähre herübergekommen.«
    Sie machte keinerlei Anstalten, sich von Cyril zu lösen, was mich nur für einen kurzen Moment erstaunte. Irgendwann würde ich ihn vielleicht fragen, auf welche Weise er in dieser Nacht ihre Gefühle beeinflusst hatte.
    »Das kann nicht sein«, erwiderte ich. »Es gibt keine Fähre von einem deutschen Hafen zu den Kanalinseln.«
    Ruby seufzte leise. Es war ihr anzusehen, wie schwer es ihr fiel, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. »Nicht von Deutschland aus. Moira ist in Frankreich gewesen. Bei einer Freundin, die sie aus dem Internet kennt und mit der sie ein paar Tage auf Herm verbracht hat. Dort hat sie Aimee, Joelle und Olivia kennengelernt.«
    Oh,

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