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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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sie sofort umarmt. Aber meine Mutter war mit dem Thema noch nicht durch.
    »Gracie, ich bitte dich«, sagte sie. »Du hattest ja schon immer eine etwas ungewöhnliche Einstellung zu den Dingen, das hier finde ich allerdings ein wenig zu …«
    »Geschmacklos?«, fiel meine Großtante ihr ins Wort. »Ist es das, was du sagen wolltest?« Sie faltete die Haut zusammen und stopfte sie in eine der beiden großen aufgesetzten Taschen des Morgenrocks. »Tja, vielleicht hast du recht. Andererseits«, fuhr sie fort und wandte sich nun direkt an Mam, »müssen wir den Tat sachen ins Auge sehen. Es nützt nichts, irgendetwas übergehen oder ignorieren zu wollen. Elodie ist nicht mehr die, die du vor drei Monaten zu mir geschickt hast, Rafaela. Damit musst du dich abfinden, ob du willst oder nicht.«
    Sie unterstrich ihr Statement durch ein bekräftigendes Nicken und machte sich anschließend daran, den Segeltuchstuhl ausei nanderzuklappen.
    »Lass mich dort sitzen«, sagte ich, ehe sie sich darauf niederlas sen konnte. »Das Ding sieht nicht besonders vertrauenerweckend aus, und ich glaube, ich bin ein wenig leichter als du.«
    »Was noch zu beweisen wäre«, brummte Tante Grace, nahm mein Angebot aber dankbar an. »Und um noch mal auf das Kleid zurückzukommen …«, fuhr sie fort. »Sechsunddreißig … ist das deine Größe?«
    Ich nickte. »Ja, warum?«
    »Tja, ich nehme an, dass du keinen Koffer dabeihast. Insofern wäre es vielleicht gut, wenn ich dir etwas besorge. Ein paar Jeans, T-Shirts und Pullis vielleicht … Vorausgesetzt, du traust mir zu, dass ich deinen Geschmack treffe.«
    »Das wäre ziemlich toll«, sagte ich.
    »Ich könnte Tante Grace ja begleiten«, bot meine Mutter sich an.
    »Noch besser«, erwiderte ich lächelnd.
    Einen Moment lang sahen wir uns einfach nur an, und ich spürte, wie mir innerlich ganz warm wurde.
    »Seit wann bist du überhaupt hier?«, fragte ich.
    Mam warf einen Blick auf die Küchenuhr, die inzwischen zehn vor zwölf anzeigte. »Seit gut sechs Stunden.«
    »Also auch erst seit heute.«
    Tante Grace hob den Zeigefinger. »Dank meiner Überredungskunst.« Sie tätschelte mir den Oberschenkel. »Nicht dass du mich für hellseherisch halten sollst, aber irgendwie habe ich geahnt, dass du hier wieder auftauchen würdest.« Sie musterte mich mit einer Mischung aus Genugtuung, Sorge und Skepsis und deutete schließlich auf den Teller voller Waffeln, der vor ihr auf dem Tisch stand. »Hast du eigentlich überhaupt keinen Hunger?«
    »Doch«, sagte ich schlapp. »Und wie.«
    Ich senkte die Lider und fuhr unschlüssig mit dem Finger an der Tischkante entlang.
    Eine Weile herrschte bedrücktes Schweigen. Mam und Tante Grace schienen zu merken, dass mir etwas auf der Seele lag, und ich wusste nicht, wie ich es ihnen sagen sollte.
    »Ashton ist tot«, platzte ich schließlich heraus. »Er ist ertrunken.«
    »Wie?« Die Stimme meiner Großtante klang schrecklich dünn. »Du sprichst jetzt aber nicht von Ashton Clifford?«
    Alles, was ich zustande brachte, war ein Nicken.
    »Oh, mein Gott!«
    Ich spürte Tante Gracies entsetzten Blick auf mir. Dann schoss sie plötzlich von ihrem Stuhl hoch, ging zur Anrichte hinüber und begann, sinnlos irgendwelches Küchengerät herumzuschieben.
    »Wer ist das?«, wollte Mam wissen. Unruhig blickte sie zwischen mir und meiner Großtante hin und her.
    »Der Freund von Ruby Welliams«, sagte Tante Grace. »Sie ist das Mädchen, mit dem Elodie sich hier angefreundet hat. Ashton konnte nicht schwimmen. Er litt am Tourette-Syndrom.« Sie schüttelte den Kopf. »Die arme Ruby. Sie hängt doch so an dem Jungen.«
    Meine Mutter war kreidebleich geworden. Ihr Mund klappte auf und zu und wieder auf, aber sie brachte keinen Ton heraus.
    »Wie konnte das denn nur passieren?«, fragte Tante Grace.
    Sie hatte sich umgedreht und sah mich durchdringend an. Mir war natürlich sofort klar, was in ihrem Kopf vorging, also fing ich stockend an, meine Lügengeschichte zu erzählen.
    »Ruby wollte ein anderes Mädchen davon abhalten, in der Dunkelheit noch mit dem Boot rauszufahren.«
    »Welches Mädchen?« Meine Großtante kniff die Augen zusam men. »Jemand von der Insel?«
    »Nein«, erwiderte ich, »eine Deutsche. Moira. Sie hat eine Freundin in Frankreich besucht und war nur mit der Fähre herü bergekommen. Wenn ich Ruby richtig verstanden habe, hatte sie wohl etwas zu viel Alkohol getrunken.«
    Tante Grace standen die Zweifel in dicken Lettern auf die Stirn gedruckt. »Und

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