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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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schreckliche Dinge zu verarbeiten als ich. Eigentlich hätte ich sie niemals ohne eine Nachricht verlassen dürfen, aber welche Wahl hatte ich denn gehabt?
    »Mam!«, rief ich. »Mam!«
    Mit einem Satz war ich in der Küche und mit dem nächsten hing ich ihr um den Hals. Ich riss sie vom Stuhl hoch und wirbelte sie im Kreis herum wie ein kleines Kind.
    »Elodie?«, stammelte sie. »Elodie … Himmel noch mal, Elodie!«
    »Mam! Mam! Mam!«, sagte ich, drückte sie an mich und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Erst als sie leise zu stöhnen begann, lockerte ich meinen Griff.
    Sie befreite sich aus meiner Umklammerung, bedachte mich mit einem irren Blick und verpasste mir eine schallende Ohrfeige. Dann sank sie auf ihren Stuhl zurück, schlug die Hände vors Ge sicht und fing an zu heulen.
    Tante Grace blickte kopfschüttelnd zwischen ihr und mir hin und her und murmelte etwas Unverständliches. Keine Frage, mein plötzliches Auftauchen hatte sie wohl ebenso aus der Fas sung gebracht wie meine Mutter, doch dann siegte offenbar sehr schnell ihr berühmter Sinn fürs Praktische. Sie erhob sich, fasste mich am Handgelenk und zog mich auf ihren Stuhl zu.
    »Jetzt setz dich erst mal, mein Kind. Ich hole dir etwas Mensch licheres zum Anziehen … und einen dritten Stuhl werde ich auch noch organisieren müssen«, murmelte sie im Davoneilen vor sich hin.
    »Es tut mir leid«, sagte ich kleinlaut.
    »Nein, mir tut es leid.« Meine Mutter nahm ihre Serviette und schnäuzte sich die Nase. »Was ist nur in dich gefahren?« Sie ließ die Serviette sinken und sah mich an. »Und seit wann hast du solche Bärenkräfte?«
    Dieser seltsame Mix aus Fragen und Bemerkungen lockte mir ein Lächeln auf die Lippen, das sich nur mühsam unterdrücken ließ. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich jemals dermaßen selig gewesen war, meiner Mutter gegenüberzusitzen.
    »Ich weiß nicht … Keine Ahnung«, sagte ich. »Ähm, es hängt wohl irgendwie damit zusammen, dass ich jetzt …«
    Mam hob abwehrend die Hände. Ganz offensichtlich wollte sie am liebsten noch immer nichts Genaues über meine neue Identi tät erfahren. Ihre innere Zerrissenheit diesbezüglich tat mir weh, aber irgendwie verstand ich auch, dass sie ihre Zeit brauchte, um mich so annehmen zu können, wie ich jetzt war.
    »Warum bist du einfach so verschwunden, ohne mir eine Nach richt zu hinterlassen?«, fragte sie.
    »Das ist eine lange, etwas komplizierte Geschichte«, erwiderte ich zögernd. »Ich glaube allerdings, dass du dir das alles gar nicht anhören magst.«
    Meine Mutter schüttelte den Kopf. Unverständnis und auch ein wenig Traurigkeit spiegelten sich in ihrer Miene wider. Dabei lag mir nichts ferner, als sie zu kränken.
    »Vielleicht gibt es eine Kurzfassung …?«
    Die gab es allerdings. »Wegen Gordian.«
    Sie nickte, dabei war ich mir sicher, dass sie sich darauf so gut wie keinen Reim machen konnte. Außerdem tauchte Tante Grace nun in der Küchentür auf, in der einen Hand einen Klappstuhl, dessen Sitzfläche und Rückenlehne aus fadenscheinigem Segel tuch bestanden, und in der anderen einen geblümten Morgen rock.
    »Hier.« Sie hielt ihn mir unter die Nase. »Etwas Trendigeres habe ich auf die Schnelle nicht gefunden.«
    »Oh, der ist absolut großartig«, sagte ich.
    Ich stand von meinem Stuhl auf und schlüpfte hinein, dann erst löste ich den Knoten der Haihaut und zog sie unter dem Mor genrock hervor.
    Tante Grace griff danach und ließ sie prüfend durch ihre Finger gleiten. »Brauchst du die eigentlich, wenn du ins Wasser tauchst?«, erkundigte sie sich.
    »Nein.« Ich warf einen unsicheren Blick auf meine Mutter. »Sie … ähm … bei einem Halbwesen wie mir bildet sie sich immer wieder neu.« Dass dies auch für die Hainixe galt und nur die Del finnixe darauf achten mussten, ihre Häute nicht zu verlieren, be hielt ich für mich. Für Mam und meine Großtante spielte dieser Unterschied ohnehin keine Rolle.
    »Tja, dann könnte ich dir daraus vielleicht ein Kleid nähen«, meinte Tante Grace und fixierte mich mit einer hochgezogenen Braue. »Für abends … zum Ausgehen?«
    Zweifelnd erwiderte ich ihren Blick. Meinte sie das wirklich ernst? Oder war es nur ein Versuch, die angespannte Stimmung aufzulockern?
    Da bemerkte ich das Blitzen in ihren Augen und die Freude, die darin auffunkelte. Freude und Erleichterung darüber, dass ich unversehrt zurückgekommen war. Ach, das war mal wieder so ty pisch für Tante Grace. Am liebsten hätte ich

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