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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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angenommen hatte, was möglicherweise damit zusammenhing, dass der Wechsel von Tag und Nacht dort unten nicht so spürbar war wie an Land und ich während meines Aufenthalts im Wasser auch kein Bedürfnis nach Schlaf verspürte.
    Übermorgen war also Pfingsten. Ich hatte keine Ahnung, ob das hier auf den Kanalinseln gefeiert wurde, und es interessierte mich auch nicht weiter. Meine Gedanken kreisten um Kyan. Vor vier Tagen, an Neumond, hatte ihn der Verwandlungszyklus, dem er als Delfinnix unterlag, in seinen tierischen Leib zurückgezwungen. Frühestens am Montag, bei zunehmendem Halbmond, konnte er wieder an Land kommen. Tat er es, würde er sich während der folgenden vier Wochen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf keinen Kampf mit einem Hainix einlassen.
    »Da hast du wohl recht.« Ein Anflug von Spott huschte über Cyrils Gesicht. »Die Erinnerung an unsere letzte Begegnung muss ziemlich schmerzhaft sein.«
    Ich bedachte ihn mit einem finsteren Blick. Die Lage war viel zu ernst, um sich Häme leisten zu können.
    »Kyan hat miterlebt, wie ihr seine drei Freunde besiegt habt, und sich feige davongemacht. Er weiß nur zu gut, dass er euch in seiner menschlichen Gestalt weit unterlegen ist. Dafür wäre er aber für die Menschen eine umso größere Gefahr. Vor allem, wenn er wieder neue Nixe mit an Land zieht.«
    Cyril legte den Kopf zurück und starrte schweigend zur Zim merdecke. Diesmal gewährte er mir keinen Zugang in seine Gedan ken und mit einem Mal erschien er mir fremder als je zuvor.
    Das Gefühl von Zusammengehörigkeit, das uns die vergange nen zwei Tage verbunden hatte, war schlagartig verschwunden.
    »Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit«, sagte Cyril unvermit telt und nun lag sein Blick wieder auf mir.
    Anders als Gordys veränderten seine Pupillen ihre Größe nicht, ohnehin konnte man kaum einen Unterschied zur schwarz braunen Iris erkennen. Beides schien nahtlos ineinander überzu gehen.
    »Stimmt«, erwiderte ich.
    Vielleicht fühlten wir einander einfach näher, wenn wir uns im Meer aufhielten.
    »Oder ein großes Leid gemeinsam tragen«, führte Cyril meine Überlegung zu Ende.
    Ich schluckte schwer, und plötzlich hatte ich Mühe, ihn anzu sehen. Die Bilder von Ashton und Ruby drängten sich nahezu gewaltsam in mein Bewusstsein. Mein Herz brannte so sehr, dass es sich nicht anders zu helfen wusste, als diesen Schmerz mit einer neuerlichen Tränenflut zu löschen.
    »Du solltest mir keine Macht über deine Gefühle einräumen«, sagte Cyril leise.
    Er stand vom Sofa auf, und ehe ich etwas erwidern konnte, war er bereits über den Balkon verschwunden.

Kaum war Cyril weg, fiel ich in eine bleischwere Leere. Ich hat te nicht einmal mehr die Kraft nachzuschauen, ob er zur Straße gelaufen und in seinen Smart gestiegen oder zu den Klippen hi nuntergehastet und ins Meer abgetaucht war. Wie tot saß ich in meinem Rattansessel, unfähig, etwas zu denken oder zu fühlen – so, als ob Cyril einfach alles mit sich fortgenommen hätte!
    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass nicht er der Grund für dieses entsetzliche Vakuum war, sondern Gordian, ohne den ich mir plötzlich vorkam wie ein nutzlos vor sich hin vegetierendes Nichts.
    Ich zwang mich, an Ashton zu denken, den ich nun nie mehr wiedersehen würde, und an Rubys verzweifelte Schreie, in der Hoffnung, mein Herz und meine Seele zu spüren. Wie gern hät te ich Ruby diesen Schmerz abgenommen und ihn für sie getra gen, um sie zu entlasten und etwas Sinnvolles zu tun und mich dadurch wieder lebendig zu fühlen. Doch nichts dergleichen ge schah. Rubys Schmerz gehörte ihr allein und ich – ich empfand nicht das Geringste.
    Stöhnend quälte ich mich aus dem Sessel und tappte zum Bett hinüber, wo ich wie ein prall gefüllter Mehlsack auf die Matratze fiel und mein Gesicht in der weichen Decke vergrub.
    Was hatte Cyril gesagt? Ich solle ihm keine Macht über meine Gefühle einräumen? Wie hatte er das gemeint? Dass er gefährlich war? Oder sollte es eher ein genereller Ratschlag sein, der auch den möglichen Einfluss anderer Nixe auf mich betraf?
    Verdammt, ich wusste einfach nichts mit dieser Bemerkung anzufangen, und je ernsthafter ich über Sinn und Zweck des Gan zen nachzudenken versuchte, desto mehr entglitt es mir. Meine Überlegungen verloren ihre Konturen, zerfaserten allmählich und schwirrten bald nur noch als wirre Schnipsel in meinem Kopf umher. Dumme, nervige Dinger! Unwillig verscheuchte ich sie. Ich wollte

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