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Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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die Runde wie jemand, der vorhat, ein Geheimnis zu lüften. Mit feierlichem Gesicht entkorkt er eine Flasche Wein.
    »Dieser Moment«, verkündet er und hebt die Flasche, »ist der Beginn der Sommerferien! Das Konservatorium hat seine Tore geschlossen.«
    »Ach so«, sage ich ernüchtert. Wenn das alles ist!
    Mein Vater lässt sich nicht beirren. Er schenkt meiner Mutter und sich selbst ein. »Von heute an machen wir’s uns schön, Alicia«, sagt er überaus fröhlich. Als würde mit dem Schuljahr eine große Last von ihm abfallen, als wäre das Konservatorium an allem schuld, was ihn bedrückt!
    Meine Mutter lächelt. Sie steht auf und holt ein drittes Glas. »Ein Schlückchen für Madeleine, Robert«, sagt sie. »Wir wollen doch alle gemeinsam auf die Ferien anstoßen, auch wenn sie bei ihr noch nicht angefangen haben.«
    Das ist nett von ihr, finde ich. Und obwohl ich Wein überhaupt nicht mag, trinke ich brav meinen Schluck. Der säuerliche Geschmack zieht mir das Gesicht kreuz und quer.
    »Wie könnt ihr nur so was trinken«, sage ich und schüttle mich. Sie lachen.
    Mein Vater lehnt sich im Stuhl zurück. »Bisher war es mir noch nicht nach Ferienplanung zumute, aber jetzt...« Er sieht uns abwechselnd an. »Was wünschen sich die Damen? Wohin fahren wir? Nach der Sonnenfinsternis natürlich, die wollen wir ja nicht versäumen.«
    Klar. Ganz Süddeutschland fiebert ihr entgegen. Es ist schließlich die einzige totale Sonnenfinsternis in unserem Land in diesem Jahrhundert. Die nächste ist einhundertsechsunddreißig Jahre entfernt. Wenn wir also eine erleben wollen, dann jetzt. Es wäre dämlich, wegzufahren, wo Interessierte aus aller Welt extra hierherkommen.
    »Am zwölften können wir dann los. Alicia, wolltest du nicht immer schon mal auf eine griechische Insel?«, ermuntert mein Vater meine Mutter.
    »Wenn du magst«, sagt sie lächelnd.
    »Nein, ich frage ja dich«, gibt er zurück.
    »Ach...« Sie zuckt mit den Schultern.
    »Vielleicht Korfu?«, drängt mein Vater. Er will Mama begeistert sehen. Aber sie kann ihm den Gefallen einfach nicht tun, sosehr sie sich anstrengt - zufällig sehe ich ihre Hände unter dem Tisch und wie sich ihre Finger verkrampfen.
    Ich beiße mir auf die Lippe. Warum werde ich eigentlich nicht gefragt? Es sind doch auch meine Ferien!
    »Wie wär’s mit Kiel?«, schlage ich vor. »Ich war schon so lange nicht mehr an der Ostsee...« Und bei Opa und Oma, verkneife ich mir zu sagen. Ich mag Opa und Oma gern, aber meine Mutter hat was gegen sie. Weil ich das weiß, warte ich erst mal ihre Reaktion ab.
    Mama lächelt unbeteiligt und nur zum Zeichen, dass sie mich gehört hat.
    Mein Vater runzelt die Stirn. »Nicht ausgerechnet nach Kiel, Madeleine, Mama ist nicht besonders scharf auf ihre Eltern. Stimmt doch, Alicia?«, wendet er sich an meine Mutter.
    Wieder zuckt sie mit den Schultern. »Wenn ihr hinwollt. Mir ist es recht.«
    Ich kann mich über den leichten Sieg nicht freuen. Denn meine Mutter will gar nicht nach Kiel. Ihr ist nur einfach alles egal. Sie benimmt sich wie eine Schlafwandlerin, und wenn mein dämlicher Vater es nicht merkt, dann doch nur deshalb, weil er es nicht merken will, oder?
    »Hast du Kopfweh?«, forscht er. »Schmeckt dir der Wein nicht?«
    »Kopfweh«, bestätigt meine Mutter.
    »Du solltest damit jetzt wirklich mal zum Arzt!«
    »Ja, Robert.«
    »Gleich am Montag?«
    »Ja, sicher.« Meine Mutter streicht sich über die Stirn. Danach dreht sie ihr Weinglas am Stiel, mal nach rechts, mal nach links.
    »Es ist besser, du gehst bald schlafen«, sagt mein Vater, und man sieht ihm die Enttäuschung an.
    Meine Mutter nickt mechanisch. Man sollte sie packen und schütteln. Ich möchte aufspringen und die Tür hinter mir zuschlagen, so frustriert bin ich.
    Meinem Vater zuliebe bleibe ich aber sitzen. Später sehen wir beide uns eine Komödie im Fernsehen an. Dabei beruhigen wir uns wieder. Ich, indem ich an meinen neuen Entschluss denke, und mein Vater, indem er die ganze Weinflasche leert.

    Die ersten zwei Ferienwochen (bis zum Tag der Sonnenfinsternis) vergehen merkwürdig ereignisarm. Es ist, als würden wir alle drei den Atem anhalten und auf etwas warten, das uns den Kick gibt. Als hinge alles von diesem kosmischen Ereignis und von den zweieinhalb Minuten Dunkelheit ab. Als müsste genau da etwas Außergewöhnliches mit uns geschehen. Als könnten wir vorher nicht mal einen Urlaub planen.
    Übrigens war mein großartiger Entschluss leider für die

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