Meerhexe
für sie keinen Unterschied zu machen.
Am Abend vor dem Ereignis renne ich zu Britta. Sie war ein paar Tage bei ihrer Cousine auf dem Land, wollte aber pünktlich zur Sonnenfinsternis zurück sein. Und richtig, sie macht mir die Tür auf.
»Wie war’s bei Kuh & Co?«, frage ich einleitend.
»Erstens«, sagt Britta und zieht mich in ihr Zimmer, »gibt’s dort keine Kühe, sondern Schweine. Und zweitens war’s grässlich.«
»Wieso?«
Britta wirft dramatisch die Arme hoch. »Weil wir den ganzen Tag ein paar verzogene Kinder beschäftigen mussten. Die machten mit ihren Eltern Ferien auf dem Bauernhof und wir hatten sie am Hals!«
»Oje«, sage ich mitfühlend.
Da Britta nichts weiter Erzählenswertes auf Lager hat, rücke ich mit meinem Anliegen heraus, der Schutzbrille. Ich weiß, dass Lukas bereits im Juli eine für sich und eine für seine Schwester besorgt hat. Es ist mir peinlich, zu fragen, ob sie nicht eine davon abgeben wollen.
Aber Britta sagt sofort: »Meine kannst du haben, wenn Lukas mich auch mal durchgucken lässt. Er wird schon nicht eine volle Stunde lang in die Sonne glotzen wollen!«
Wir probieren Brittas Brille aus und stellen beide fest, dass es dahinter zappenduster ist. Dann gehen wir zu Lukas rüber, um ihn zu fragen. Da er auf unser Klopfen nicht reagiert, öffnet Britta einfach die Tür.
Wir haben unheimliches Glück: Lukas ist angezogen. Aber sonst ist er wieder mal ziemlich weggetreten. Mit Ohrstöpseln und Walkman und obendrein der Schutzbrille vor dem Gesicht tanzt er herum. Britta stellt ihm einen Stuhl in den Weg. Lukas stößt dagegen, kennt sich nicht mehr aus und reißt sich die Brille runter.
»Scheiße«, sagt er, als er uns sieht. Und beim Blick auf den Stuhl faucht er Britta an: »Du stirbst nur einmal. Aber davon hast du lange was!« Danach erst zieht er die Stöpsel aus den Ohren. »Was wollt ihr Weiber?«
Wir sagen es ihm. Woraufhin Lukas seine Brille gut festhält und mir den freundlichen Rat gibt: »Vorbeugen ist besser als auf die Schuhe kotzen!« Er legt die Brille in eine Schublade, die er dann absperrt. Den Schlüssel schwenkt er vor unseren Gesichtern hin und her.
»Heißt das, du willst mich nicht durchgucken lassen?«, fragt Britta empört.
Lukas nickt brüderlich und zermartert sich das Hirn nach einem weiteren dummen Spruch - er hat für fast jede Gelegenheit irgendeinen Mist auswendig drauf. Seine Quelle ist ein Minibuch, das er ständig in der Hosentasche trägt. Britta hat ihn schon beim heimlichen Üben erwischt.
Aber jetzt fällt ihm auf die Schnelle doch nichts ein. Deshalb lässt er sich dazu herab, uns zu erklären, dass er zur Zeit der Sonnenfinsternis wo ganz anders sein wird als wir. Auf einer Raver-Party nämlich, auf der Dachterrasse von einem Freund.
Als wir enttäuscht seine Tür hinter uns zuziehen, ruft er uns noch triumphierend nach: »Ich glaube an die Unsinkbarkeit der Titanic!«
Britta und ich schauen uns nur an. Auch wenn ich daran ersticke, sage ich keinen Ton. Britta ist meine beste Freundin und für ihren Zwillingsbruder kann sie nichts.
»Gütiger Himmel«, murmelt Britta und schüttelt verzweifelt den Kopf. »Immerhin - es ist nicht zu fassen - hat er mir diese Brille besorgt. So kann er auch sein!«
Ich gehe unverrichteter Dinge heim. Zwar könnte Britta zu mir kommen, dann würden wir abwechselnd durch ihre Brille gucken. Aber sie muss bei ihren Eltern bleiben, denn die haben auch keine. Oder ich könnte zu ihr gehen. Doch dann werde ich vielleicht nicht Zeuge des einen oder anderen Wunders.
Überhaupt halte ich die Möglichkeit mindestens eines Wunders für wichtiger als so eine dämliche Brille. Und außerdem bin ich wieder mal froh darüber, dass meine Eltern sich damals zu einem Einzelkind entschlossen haben und dass die Veranlagung für Zwillinge nicht in unserer Familie liegt.
Von einem kosmischen Ereignis
mit böser Wirkung
Am elften August ist der Himmel bewölkt. Beim Frühstück wird es immer wieder mal gleißend hell, wenn die Sonne durchbricht, aber danach trübt es sich mehr und mehr ein. Erste Regentropfen fallen.
»Neieiein!«, jammere ich.
Meine Mutter, die mit den Händen im Schoß dasitzt, tröstet mich. »Die Sonnenfinsternis findet trotzdem statt, Madeleine.«
»Ja, aber man sieht sie nicht!«
»Es wird dunkel werden«, sagt sie.
»Das wird es am Abend auch!«
Meine Mutter schüttelt sanft den Kopf über mich. »Aber zur Mittagszeit, Madeleine! Denk doch nur, was das bedeutet!«
»Was
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