Meerjungfrau
und küsste sie auf den Mund. Maja patschte ihm ins Gesicht und schürzte die Lippen zum Zeichen, dass sie auch ein Küsschen wollte.
»Setzt euch aufs Sofa und schmust ein bisschen. Ich mache uns Tee und ein paar Butterbrote.« Erica ging in die Küche. »Ãbrigens hat Paula eine Tüte für dich abgegeben«, rief sie so unbeteiligt wie möglich. »Sie steht im Flur.«
»Danke!«, erwiderte er. Dann hörte sie, dass er aufstand und zu ihr in die Küche kam.
»Willst du heute Abend arbeiten?« Sie warf ihm einen Seitenblick zu, während sie kochend heiÃes Wasser in zwei Becher mit Teebeuteln goss.
»Nein, ich mache es mir mit meiner geliebten Frau gemütlich, gehe früh ins Bett und sehe das Ganze morgen Vormittag in aller Ruhe hier zu Hause durch. Manchmal ist in der Dienststelle ein bisschen zu viel Trubel.«
Seufzend legte er ihr von hinten die Arme um die Taille.
»Ich komme gar nicht mehr rum«, murmelte er in ihren Nacken.
»Ich habe das Gefühl, bald zu platzen.«
»Hast du Angst?«
»Wenn ich das Gegenteil behaupten wollte, müsste ich lügen.«
»Gemeinsam schaffen wir das.« Er drückte sie noch fester.
»Ich weiÃ. Anna sagt das auch. Diesmal wird es bestimmt nicht so schlimm. Ich weià ja, was auf mich zukommt. Dafür sind es zwei.«
»Doppeltes Glück.«
»Doppelte Arbeit.« Erica drehte sich zu ihm um und umarmte ihn von vorn, was mittlerweile gar nicht mehr so einfach war.
Erica schloss die Augen und schmiegte ihre Wange an Patriks Gesicht. Sie hatte lange überlegt, wann sie Patrik am besten von ihrem Ausflug nach Göteborg erzählen sollte, und war zu dem Schluss gekommen, dass sie es am besten gleich heute Abend machte. Doch Patrik sah furchtbar müde aus und würde ja auch noch morgen Vormittag zu Hause sein. Bis dahin konnte sie warten. AuÃerdem konnte sie dann noch das erledigen, was sie im Sinn hatte, seit sie das Tonband gehört hatte. So würde sie es machen. Wenn sie etwas herausfand, was für die Ermittlungen von Bedeutung war, nahm Patrik ihr die Einmischung vielleicht nicht allzu übel.
E igentlich litt er kaum darunter, dass er keine Freunde hatte. Er hatte schlieÃlich seine Bücher. Doch je älter er wurde, desto mehr vermisste er, was alle anderen zu haben schienen. Gemeinschaft, Zugehörigkeit, das Gefühl, einer von vielen zu sein. Er dagegen war immer allein. Die Einzige, die gern mit ihm zusammen war, war Alice.
Manchmal verfolgten sie ihn auf dem Weg vom Schulbus nach Hause. Erik, Kenneth und Magnus. Sie schrien laut, wenn sie viel langsamer, als sie gekonnt hätten, hinter ihm herrannten. Nur, um ihn zum Laufen anzutreiben.
»Beeil dich mal ein bisschen, du Fettsack!«
Er setzte sich in Bewegung und hasste sich selbst dafür. Insgeheim hoffte er auf ein Wunder. Vielleicht würden sie eines Tages aufhören, ihn zu ärgern, und ihn stattdessen als Menschen wahrnehmen. Er wusste jedoch, dass das ein Traum war. Niemand sah ihn. AuÃer Alice. Aber die zählte nicht. Denn sie war ein Mongo. So nannten sie die Jungs, vor allem Erik. Er lieà sich das Wort auf der Zunge zergehen: Mooongooo â¦
Oft wartete Alice an der Bushaltestelle auf ihn. Er fand das schrecklich. Mit ihrem dunklen Pferdeschwanz sah sie ganz normal aus. Fröhliche blaue Augen hielten nach ihm Ausschau, wenn die Oberstufenschüler aus Tanum ausstiegen. Manchmal empfand er sogar ein wenig Stolz, wenn er aus dem Fenster schaute. Diese dunkelhaarige Schönheit mit den langen Beinen war seine Schwester.
Doch jedes Mal folgte dann der Augenblick, in dem sie ihn entdeckte. Sie kam so linkisch auf ihn zu, als wären an ihren Armen und Beinen unsichtbare Fäden befestigt, an denen hin und wieder jemand zog. Laut brabbelte sie seinen Namen, und die Jungs bogen sich vor Lachen. »Mooongooo!«
Alice bekam davon gar nichts mit, und das war ihm fast am peinlichsten. Sie lächelte selig, mitunter winkte sie ihnen sogar zu. Er aber rannte, ohne dass ihm jemand auf den Fersen war, um Eriks schallendem Gebrüll zu entkommen. Vor Alice konnte er allerdings nicht weglaufen. Sie hielt das Ganze immer für ein Spiel. Mühelos holte sie ihn ein, und manchmal fiel sie ihm mit einer solchen Wucht um den Hals, dass er beinahe zu Boden ging.
In diesen Momenten hasste er sie so sehr wie damals, als sie ständig geschrien und ihm Mutter weggenommen
Weitere Kostenlose Bücher