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Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Eriksson
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es so weit gekommen war. Sie hatte Geld vom Haushaltsgeld abgezweigt und es wie ein Eichhörnchen gehortet, bis der Tag gekommen war, an dem Susan aus dem Haus ging. Constance hatte ihre Taschen gepackt und war gegangen, ohne irgendjemandem ein Wort zu sagen, mit genug Geld in der Tasche, um es nach Victoria zu schaffen, wo Iris, ihre alte Freundin aus der High School, mit ihrem Ehemann lebte. Sie war neunundfünfzig Jahre alt gewesen und hatte weder irgendwelche Fähigkeiten noch eigene Mittel gehabt. Iris hatte ihr dabei geholfen, eine Wohnung zu finden und einen Job in einer Buchhandlung in der Innenstadt. Als die Scheidungspapiere eingetroffen waren, hatte sie mit einer Piccolo-Flasche Champagner gefeiert, die sie auf einer Holzbank geleert hatte, von der man auf die Juan-de-Fuca-Straße und die Olympic Mountains blicken konnte. Auf der Tafel, die am Rückenteil der Bank angebracht war, hieß es: In Gedenken an Joseph Smith, der das Meer liebte.
    Trevor hob sein Glas. »Auf Ihre Scheidung.«
    Sie stieß mit ihm an. »Auf meine Scheidung.« Sie nahm einen Schluck. »Donald hat sofort Anna geheiratet. Ich bin sicher, dass er nebenher schon was mit ihr hatte, bevor ich ihn verließ.«
    »Mistkerl.«
    »Ich mache ihm das nicht zum Vorwurf. Meine Einfahrt war ganzjährig geschlossen.«
    Trevor verschluckte sich an seinem Scotch; die bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte ihm auf den Hosenstall.
    »Sie sind viel zu verkrampft, mein lieber Junge«, meinte Constance mit einem Lächeln und reichte ihm eine Serviette.

10
    Alberta, Winter 1985

    Wie ein gewaltiger, von Menschenhand geschaffener Raubvogel kreiste die Boeing 747 über die schneebedeckte Prärie Albertas, in deren Mitte die Stadt Calgary mit ihrem einsamen Tower und der Traube von den Hochhäusern in der Innenstadt wie festgepinnt war. Trevor hatte die Stirn gegen das ovale Fenster gepresst und suchte mit den Augen am Nordwestufer des Bow River nach dem dreistöckigen Gebäude ohne Fahrstuhl in Sunnyside, das er sein Zuhause nannte. Er war nicht einmal eine Woche weg gewesen, doch hatten ihn die unerwarteten Ereignisse, die diese Geschäftsreise zu etwas gemacht hatten, was sie deutlich von anderen unterschied, erschöpft und aus dem Gleichgewicht gebracht. Deshalb war er sogar noch dankbarer als sonst, unter sich das vertraute Flechtwerk der Straßen zu sehen und zu wissen, dass er bald, nach einer wohlverdienten Dusche, lang ausgestreckt auf seinem eigenen Bett liegen würde und geordneten Gedanken über ein normales Leben nachhängen konnte.
    Die vergangenen paar Tage waren alles andere als normal gewesen, als sei er in eine bizarre unterirdische Welt hinabgestürzt, in der die Menschen Waffen trugen und in der der Gauner in Gestalt einer alten Frau auftauchte, die einen auf die Palme brachte. Allerdings sein eigener Fehler. Er rieb mit einer Papierserviette an dem nervigen Lippenstift-Schmier auf seinem Hemdsärmel herum und fragte sich, wie er bloß seiner Kardinalregel hatte untreu werden können. Sprich nicht mit fremden Leuten.
    Abgesehen von der Schneedecke und dem Geflecht aus Straßen, von denen die eintönige Landschaft durchwoben wurde, erinnerte Trevor die Prärie aus der Luft an die Savanne in Kenia. Vor achtundzwanzig Stunden hatte er Constance Ebenezer über die Schulter geschaut, als sie im Morgengrauen den Flughafen von Nairobi angeflogen waren. Die alte Dame war nur mit Mühe und Not in der Lage gewesen, ihre Erregung zu zähmen, als sie auf die Giraffen — für ihn sahen sie aus wie Bäume — gezeigt und vor Begeisterung über die rote Erde laut aufgeschrien hatte. Sie hatte darauf beharrt, Schnee auf dem Gipfel des Mount Kenia gesehen zu haben, dessen seitlich sacht abfallende Ausläufer und die aus drei Spitzen bestehende Kuppe weit in der Ferne halb von einer Wolke verdeckt wurden. Am Horizont hatte eine riesige, melonengelbe Sonne den Himmel im Osten orangerot gefärbt, als sie mit ihrem Gepäck in einer Ankunftshalle gestanden hatten, die sich mitten auf freiem Feld befand. Trevor hatte nach einem Weg gesucht, sich zu verabschieden, und dann etwas getan, was so überhaupt nicht seiner Art entsprach; er hatte ihr eine Visitenkarte gegeben, auf deren Rückseite er seine Privatadresse und Telefonnummer gekritzelt hatte. Sie hatte ihn auf die Wange geküsst, als ein Straßenverkäufer mit Constance’ Kamera ein Foto von ihnen schoss. Bevor er sich von der Geste der Zuneigung hatte erholen können, war sie auf den Linienbus

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