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Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Eriksson
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Hände, blickte an die Decke und auf die ordentlich nebeneinander aufgereihten Knöpfe und Düsen und Lämpchen und sagte: »Es tut mir leid, ich...«
    Sie gab abermals ein schniefendes Geräusch von sich, diesmal sogar noch lauter. Mitten im Satz hielt er inne und sah sie an. Sie hatte sich die Hand vor den Mund gelegt, und Tränen rannen über ihr Gesicht. Ein Laut, der dem Schreien eines Esels nicht ganz unähnlich war, brach zwischen ihren Fingern hervor. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass sie lachte.
    »Sie hätten...«, stieß sie aus und schnappte dabei nach Luft, weil sie kaum in der Lage war, ein Wort herauszubringen, so sehr lachte sie. »Sie hätten diesen jungen Mann da oben auf der Pyramide sehen sollen. Der hat... gekeucht. Ich dachte, er würde rücklings Umfallen, als er sah, dass er eine Oma jagte.« Mit einer durchweichten Serviette tupfte sie sich das Gesicht ab. »Der arme Junge. Wussten Sie, dass kürzlich erst ein Tourist von der Pyramide gestürzt ist? Und ihr Präsident ist vor noch gar nicht langer Zeit ermordet worden. Kein Wunder, dass sie Waffen tragen.«
    Trevor fing an zu verstehen, warum diese Frau so viele Ehemänner gehabt hatte. »Aber die sprachen doch gar kein Englisch. Wie haben Sie...«
    »Haji schon. Er war auch ein ausgekochter Pokerspieler. Ich habe zehn Dollar an ihn verloren.«
    »Sie wollen sagen, dass Sie Poker gespielt haben, während ich da draußen in dieser Hölle Panik hatte, dass Sie tot wären... oder Schlimmeres?«
    »Es tut mir leid.« Sie nahm Donald und Martin aus Trevors Händen und stellte sie vor sich auf ihren Klapptisch. »Haji und seine Freunde waren bewaffnet. Das musste ich mir immer vor Augen führen.« Sie drückte seine Hand. »Ich wusste, dass Sie warten würden.«
    Trevor schämte sich. Fünfzehn Minuten war das Taxi bereits auf der Straße Richtung Flughafen unterwegs gewesen, bis er den Fahrer angewiesen hatte, umzudrehen und zurückzufahren zu den Pyramiden und zu Constance. »Sie sind ziemlich fit für eine Frau Ihres...«
    »Jazzercise. Jeden Dienstag und Donnerstag. Und danke, Trevor. Dafür, dass Sie die Jungs gerettet haben... und mich.«
    Für einen Moment saßen sie schweigend da, das Summen der Düsenmotoren erfüllte die Stille.
    »Ich hätte Sie nicht schlagen dürfen«, sagte sie.
    »Kein Problem.« Trevor hob eine seiner Hände. »Das hatte ich verdient.«
    »Nein«, widersprach sie. »Es tut mir leid. Ich verabscheue körperliche Gewalt.«
    Aus dem Lautsprecher erklang knisternd die Stimme des Piloten, der verkündete, dass sie sich über dem Sudan befänden. Die Flugbegleiter würden gleich Snacks, Zeitschriften und Getränke austeilen.
    »Donald hat mich geschlagen.«
    »Wie bitte?«
    »Donald. Er hat mich geschlagen«, wiederholte Constance. »Weil ich den Kindern neue Wintermäntel gekauft hatte. Können Sie sich das vorstellen?«
    Dieses Geständnis machte Trevor sprachlos.
    »Sie sind ein ordentlicher Mensch«, fuhr sie fort und vergaß, was sie soeben gebeichtet hatte, als sie in das Innenleben seines Handgepäcks schaute. Er folgte ihrem staunenden Blick auf die Unterhosen und die Socken, die gefaltet, nicht zusammengerollt waren, auf die Papiere, die er so gestapelt hatte, dass kein einziges Blättchen verrutschen konnte, auf seine marineblaue Kulturtasche längs daneben, die Stifte klemmten in dafür vorgesehenen Vorrichtungen unter der Oberseite des Koffers.
    »Ich... ich denke mal, das stimmt. Ich habe es gern, wenn Dinge ihren Platz haben«, murmelte Trevor, den der abrupte Themenwechsel verwirrte. Er wollte ein paar Sätze zurück. Zu dem, was sie über Donald gesagt hatte. Über das Schlagen. Aber er wusste nicht, wie man sich durch die Intimität einer zwischenmenschlichen Unterhaltung manövrierte, durch das Labyrinth aus Vokalen und Konsonanten, Nomen und Adverbien und durch das verborgene Minenfeld aus ungesagten Worten und Schlussfolgerungen. Die traurige Schwere ihrer Worte war ihm ebenso vertraut wie sein eigener Handrücken, denn schließlich war er ja der Meister, wenn es um verdrängte Trauer ging. Er trug die verborgenen Narben von Onkel Pats Weidenstock, von Tante Gladys’ bissigen Worten. Vom erdrückenden Verlust seiner Eltern. Diese Gefühle gehörten ihm, nicht dieser kleinen, zarten, lebhaften Frau. Er wollte sie ihr wegnehmen und in seine ordentlich gepackte Tasche stecken, um sie vor diesem überwältigenden Quell des Elends zu retten. Aber er wusste nicht, wie. »Ja... ordentlich«, lautete

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