Mehr als ein Sommer
Assiniboia, weg von dem Meer aus Krokussen. Draußen vor ihnen erstreckte sich die Spätfrühlingsprärie in Grün, nicht in Violett. Felder von frisch gemähter Luzerne, die in Bündeln hinter Stacheldrahtzäunen trocknete. Auf anderen Feldern standen Strohballen wie dicke goldene Blöcke, die aussahen wie gigantische Weizenflocken aus dem Frühstücksmüsli oder wie übergroße Zimtrollen, die neben den Reifenspuren des Mähdreschers lange Schatten warfen. Die flache Landschaft erstreckte sich in jeder Richtung bis zum Horizont, Farmland, das von einem Flechtwerk aus endlosen Schotterstraßen unterteilt wurde. Steine schlugen unter die Bodenwanne des Wagens, und eine Staubspur folgte ihnen über das Land.
»Hast du was gesagt?«, fragte er.
»Wir sind in der Nähe der Farm.« Angela blickte zu ihm herüber. Sie hatte nicht viel gesagt, seit sie Calgary verlassen hatten. »Hast du geschlafen?«
»Vor mich hin geträumt.« Er streckte seine Arme über den Kopf und gähnte. Das Radio spielte leise Country-Musik. Sie hatten einander nicht geküsst, als sie ihn abholte, aber sie hatte gegrinst, als er seine Tasche in den Kofferraum des Wagens warf.
»Willst du einen ganzen Monat bleiben?« Sie hatte mit einem Kopfnicken auf die Eishockey-Sporttasche gedeutet, die fast aus allen Nähten platzte.
Alle paar Meilen kamen sie an einem Farmhaus vorbei, vor dessen Auffahrt eine Baumreihe stand. Zu den Häusern gehörten meist eine rot-weiße Scheune, ein paar Nebengebäude, weite Rasenflächen, und im Hof parkten schwere Landmaschinen. Die meisten Gehöfte waren in gutem Zustand, mit gemähtem Rasen, begradigtem und geschottertem Weg sowie Blumenbeeten ums Haus herum. Gelegentlich fuhren sie an einer windschiefen ungepflegten Farm vorüber, wo der Rasen hoch stand, durchwuchert war von Disteln und Löwenzahn und die zerbrochenen Regenrinnen vom Dach herunterhingen. Der Anblick dieser Farmhäuser erfüllte Trevor mit einem unangenehmen Gefühl von Vertrautheit.
Angela bog links ab, ohne den Blinker zu setzen, und fuhr einen von Pappeln gesäumten Schotterweg hinunter, der um die Front eines zweistöckigen, mit Schindeln gedeckten Hauses herumführte. Ein Hund mit schwarz-weißem Fell rannte von der Seite des Vordachs auf sie zu, tänzelte vor dem Auto hin und her und versuchte dabei, in die Reifen zu beißen.
Als sie aus dem Wagen stiegen, sprang der Hund an Angela hoch; sie kniete sich auf den Boden und raufte ihm mit beiden Händen das Fell am Nacken, während er ihr Gesicht ableckte. Sie küsste den Hund auf die Nase und stupste ihn in Trevors Richtung. »Darf ich dir Caesar A. vorstellen?« Der Hund lief zwischen Trevors Beinen eine Acht und setzte sich dann, wobei ihm seine lange, rosafarbene, nasse Zunge aus dem Mund heraushing, er hechelte. »Er ist ein Coydog, halb Kojote und halb Hund«, ließ Angela ihn wissen. Dann drehte sie sich um, denn es öffnete sich quietschend das Fliegengitter vor der Haustür, und eine groß gewachsene Frau, die das graue Haar im Nacken zu einem lockeren Knoten zusammengesteckt hatte, trat heraus auf die Veranda. Sie hielt ihre Hand vor das Gesicht, um von der Abendsonne nicht geblendet zu werden.
»Angie!«, rief sie. »Hatte dich erst nach Einbruch der Dunkelheit erwartet. Wen hast du da mitgebracht?«
Trevor schluckte beim Anblick der Frau. Vor lauter Begeisterung, mit Angela zusammen sein zu können, hatte er gar nicht in Betracht gezogen, dass da auch noch andere Menschen auf der Farm lebten. Menschen, mit denen er sich würde unterhalten müssen. Hatte er geglaubt, die Farm würde von Kühen oder Hühnern bewirtschaftet? Er war in keinem Privathaus mehr zu Besuch gewesen seit Tante Gladys’ Beerdigung, bei der die Dame des Hauses tot gewesen war; Onkel Pat war schon lange vorher an Lungenkrebs gestorben. Trevor und Brent hatten das Doppelbett auf ihrem alten Dachboden miteinander geteilt, um dem stillen Schlafzimmer auf der Wohnetage zu entgehen und den Geistern ihrer Tante und ihres Onkels, die zusammen mit dem Nachtwind seufzend durch die Korridore spukten. Das alte Haus hatte immer noch nach Onkel Pats Zigaretten gerochen. Die Brüder hatten sämtliche Decken zusammengesucht, die Tante Gladys gehäkelt hatte, und sie zusammen mit dem Weidenstock, den sie in der Ecke der Veranda gefunden hatten, in der Kesseltrommel hinter dem Haus verbrannt.
Diese Frau hier war aber äußerst lebendig und begutachtete ihn vom Scheitel bis zur Sohle mit Augen, denen nicht einmal ein
Weitere Kostenlose Bücher