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Mehr als nur ein halbes Leben

Mehr als nur ein halbes Leben

Titel: Mehr als nur ein halbes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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der Tür zu lesen. BEHINDERTENSPORTVERBAND NEUENGLAND. Dann gehe ich die Behindertenrampe hoch und trete ein.
    Ich wundere mich, als ich merke, dass es hier wie in einer typischen Skihütte aussieht – Kiefernböden, Holzbänke, durchsichtige Glasschalen auf einem Tresen, die mit Handwärmern, Lippenbalsam und Sonnencreme gefüllt sind, ein Drahtständer mit polarisierenden Sonnenbrillen. Ich nehme an, ich hatte erwartet, dass es eher wie in einer Rehaklinik aussehen würde. Außer mir ist nur noch eine weitere Person im Raum, ein junger Mann im Rollstuhl, in den Zwanzigern, würde ich schätzen. Nach seinem Bürstenschnitt und seinem Alter zu urteilen, würde ich sagen, dass er ein Veteran des Irakkriegs ist. Er sieht selbstsicher und entspannt aus, als ob er schon dutzende Male hier gewesen ist. Er ist damit beschäftigt, die Riemen an seinen Beinen einzustellen, und scheint mich nicht zu bemerken.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt ein Mann mit einer rot-schwarzen Mitarbeiterjacke und einem begeisterten Lächeln.
    »Ich wollte mich nur umsehen«, lehne ich ab, bemüht, keinen Blickkontakt aufzunehmen.
    »Fahren Sie Ski?«, fragt er.
    »Früher schon.«
    Wir sehen beide mit einem ernsten Nicken auf meinen Gehstock.
    »Ich bin Mike Green«, sagt er.
    Er lächelt noch immer, sein Gesicht drückt freundliche Fröhlichkeit aus, und er erwartet, dass ich mich ebenfalls mit Namen vorstelle, aber es widerstrebt mir zu sehr, meine Anonymität preiszugeben. Seine großen weißen Zähne wirken noch weißer durch seine Skifahrer-Sonnenbräune – er ist goldbraun im ganzen Gesicht bis auf die weiße, sonnenbrillenförmige Maske um die Augen, wie das Negativ eines Waschbären – und er sieht nicht so aus, als würde er sich leicht geschlagen geben.
    »Ich bin Sarah Nickerson«, lenke ich schließlich ein.
    »Sarah! Wir haben Sie schon erwartet! Schön, dass Sie endlich gekommen sind.«
    Jetzt grinst er mich an, als wären wir alte Freunde, was mir etwas unangenehm ist und mir das Gefühl gibt, dass es jetzt an der Zeit wäre, mich zu entschuldigen und draußen auf dem Parkplatz mein Glück dabei zu versuchen, Autos auszuweichen.
    »Sie haben mich erwartet?«
    »Aber ja. Wir haben vor ein paar Wochen Ihre entzückende Mutter kennengelernt. Sie hat die meisten Ihrer Unterlagen bereits ausgefüllt.«
    Oh, jetzt verstehe ich. Natürlich hat sie das getan.
    »Entschuldigung, das hätte sie nicht zu machen brauchen.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Wir werden Sie auf den Berg bringen, wann immer Sie so weit sind. Aber Sie haben recht. Sie sind keine Skifahrerin mehr. Jedenfalls vorerst nicht.«
    Na bitte. Gleich kommt das inspirierende und überzeugende Verkaufsgeschwafel über diesen fantastischen und wundervollen Skischlitten. Ich zermartere mir das Gehirn auf der Suche nach irgendwelchen effektiven Methoden, ihn zu unterbrechen und ihm höflich Nicht in einer Million Jahren, Mister zu verstehen zu geben, ohne ihn zu kränken und bevor er zu viel von seinem Atem und meiner Zeit verschwendet.
    »Sie sind eine Snowboarderin«, sagt er todernst.
    Das ist nicht das, was ich erwartet hatte. Nicht in einer Million Jahren.
    »Ich bin was?«
    »Sie sind eine Snowboarderin. Wir können Sie heute auf ein Snowboard bringen, wenn Sie Lust dazu haben.«
    »Aber ich kann gar nicht Snowboard fahren.«
    »Wir werden es Ihnen beibringen.«
    »Auf einem normalen Snowboard?«, frage ich, als ich einen Ausweg sehe.
    »Es hat ein bisschen zusätzlichen Schnickschnack, aber im Grunde ist es ein ganz normales Snowboard«, antwortet er.
    Ich werfe ihm denselben Blick zu, den mir Charlie und Lucy zuwerfen, wenn ich ihnen sage, dass Brokkoli köstlich schmeckt.
    »Und was heißt denn schon normal? Jeder braucht eine Ausrüstung, um den Berg hinunterzukommen. Normal wird überbewertet, wenn Sie mich fragen«, erklärt er.
    Normal wird überbewertet . Genau die Worte, die Ms. Gavin verwendet hat, als sie von Charlie sprach. Und ich habe ihr recht gegeben. Meine Miene wird sanfter, als würde ich darüber nachdenken, wie köstlich Brokkoli vielleicht schmecken könnte, wenn man ihn mit ein bisschen Parmesankäse bestreut, und Mike wittert seine Chance.
    »Kommen Sie, ich werde es Ihnen zeigen.«
    Meine Intuition sagt mir, dass ich ihm vertrauen soll, dass dieser Mann weitaus mehr über mich weiß als meinen Namen und das, was meine Mutter ihm vielleicht erzählt hat.
    »Okay.«
    Er klatscht in die Hände.
    »Wunderbar. Dann kommen Sie

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