Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mehr als nur ein halbes Leben

Mehr als nur ein halbes Leben

Titel: Mehr als nur ein halbes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
Vom Netzwerk:
auf einmal mitten in der Bewegung innehalte. Es kommt mir komisch vor, so zu tun, als würde ich Mike anpinkeln.
    »Entschuldigung, mein Vergleich ist etwas bildhaft, aber er funktioniert. Nach vorn – auf die Zehen; nach hinten – auf die Fersen.«
    Ich versuche es noch einmal. Ich gehe mit der rechten Hüfte vor und dann zurück, vor und dann zurück. Und anders, als wenn ich mein rechtes Bein oder meine rechte Hand bewege, geht meine linke Hüfte mit, wenn ich die rechte Hüfte bewege. Jedes Mal. Wenn man so ein Snowboard steuert, dann sieht es so aus, als ob ich das könnte.
    »Aber was ist mit dem Bremsen? Wie soll ich meine Geschwindigkeit regulieren?«
    »Diese Fahrerstange hier ist für Ihr Gleichgewicht, so wie Sie sich jetzt an meinen Händen festhalten. Aber am Anfang ist sie auch für uns Lehrer da, damit wir uns festhalten können. Wenn wir heute hochfahren, werde ich mit dem Gesicht zu Ihnen Snowboard fahren, und ich werde Ihre Geschwindigkeit steuern. Und sobald Sie Ihr Gleichgewicht im Griff haben, können wir zu einem dieser Bretter übergehen.«
    Er zeigt mir ein anderes Snowboard. Dieses Snowboard hat keine Haltestange, und auf den ersten Blick fällt mir nichts Besonderes daran auf. Dann fädelt Mike eine schwarze Kordel durch eine Metallschlaufe, die an einem Ende des Bretts befestigt ist.
    »Statt mich von vorn gegen Sie zu stemmen, werde ich Sie von hinten an diesem Strick festhalten, um Ihnen dabei zu helfen, Ihre Geschwindigkeit zu steuern.«
    Ich stelle mir einen Hund an einer Leine vor.
    »Und dann werden Sie es irgendwann allein können.«
    Er zieht den Strick aus der Schlaufe, als wollte er sagen: »Trara! Ein ganz normales Snowboard!«
    »Aber wie soll ich verhindern, dass ich auf der Piste mit anderen Leuten zusammenstoße? Sobald ich mich auf irgendetwas konzentriere, kann ich links von mir nichts mehr sehen.«
    Er lächelt, als er merkt, dass er mich so weit hat, dass ich mich selbst auf dem Berg sehe.
    »Das ist mein Job, bis Sie es allein können. Und wenn Sie es ohne die Fahrerstange versuchen, können Sie dazu übergehen, einen Ausleger zu benutzen, wenn Sie wollen.« Jetzt hält er einen Skistock hoch, an dessen unterem Ende ein kleiner Ski befestigt ist. »Damit hätten Sie noch einen Kontaktpunkt mehr zum Boden, wie Ihren Gehstock, der Ihnen zusätzliche Stabilität gibt.«
    »Ich weiß nicht«, zögere ich.
    Ich suche nach noch einem Aber, kann jedoch keins finden.
    »Kommen Sie, versuchen wir’s. Es ist ein herrlicher Tag, und ich wäre sehr gern dort draußen«, sagt er.
    »Sie meinten, meine Mutter habe die meisten meiner Unterlagen bereits ausgefüllt?«, setze ich ihm meinen letzten Rest Widerstand entgegen.
    »Ach ja. Es gibt da noch ein paar Standardfragen, die wir immer stellen und die nur Sie beantworten können.«
    »Okay.«
    »Was sind Ihre kurzfristigen Wintersportziele?«
    Ich denke nach. Noch vor ein paar Minuten war mein einziges Ziel für heute, ein bisschen spazieren zu gehen.
    »Ähm, auf einem Snowboard den Hügel hinunterzufahren, ohne mich oder jemand anders umzubringen.«
    »Sehr gut. Das können wir schaffen. Und wie sieht’s mit langfristigen Zielen aus?«
    »Ich nehme an, Snowboard zu fahren, ohne irgendwelche Hilfe zu brauchen. Und irgendwann will ich wieder Ski fahren können.«
    »Perfekt. Und wie sieht’s mit Lebenszielen aus? Was sind Ihre kurzfristigen Ziele im Leben?«
    Ich verstehe nicht ganz, was diese Information mit meiner Fähigkeit, Snowboard zu fahren, zu tun haben könnte, aber ich weiß die Antwort, deshalb gebe ich sie ihm.
    »Wieder arbeiten zu gehen.«
    »Was machen Sie beruflich?«
    »Ich war Vizepräsidentin der Personalabteilung bei einem Consultingunternehmen in Boston.«
    »Wow. Klingt eindrucksvoll. Und was sind Ihre langfristigen Ziele?«
    Vor dem Unfall hatte ich gehofft, in den nächsten zwei Jahren zur Präsidentin der Personalabteilung befördert zu werden. Bob und ich haben für ein größeres Haus mit mindestens fünf Schlafzimmern in Welmont gespart. Wir hatten vor, ein Kindermädchen einzustellen, das bei uns im Haus leben sollte. Aber jetzt, seit dem Unfall, erscheinen mir all diese Ziele ein bisschen belanglos zu sein, um nicht zu sagen: lächerlich.
    »Mein Leben wiederbekommen.«
    »Schön, Sarah, ich bin so froh, dass Sie gekommen sind. Sind Sie bereit, mit mir Snowboard zu fahren?«
    Erschöpft von dem ganzen unnötigen Stress, liegt meine Panik jetzt eingekuschelt in einer weichen Decke und schlummert

Weitere Kostenlose Bücher