Mehr als nur ein halbes Leben
weniger als hundertprozentig, weniger als perfekt. Ich bin mit meiner Familie auf dem Berg. Ich bin hier.
Gleiten, wenden, gleiten. Lächeln.
DREISSIGSTES KAPITEL
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Es ist Montagmorgen. Ich weiß, dass es Montagmorgen ist, weil wir gestern Abend von Cortland zurück nach Welmont gefahren sind, also muss gestern Abend Sonntagabend gewesen sein. Es ist Anfang März, und ich bin jetzt seit vier Monaten nicht mehr zur Arbeit gegangen, was auch heißt, dass ich seit vier ganzen Monaten ohne den strikten Terminplan lebe, der früher zu jeder wachen Stunde des Tages mein Wer, Was, Wann, Wo und Warum bestimmt hat. Ich weiß, dass es Wochenende ist, wenn wir in Vermont sind, und ich weiß, wann es Montag oder Freitag ist, weil wir dann entweder eben zurückgekehrt sind oder packen, um wieder loszufahren, aber die Tage dazwischen verschwimmen allmählich. Spätestens am Mittwoch weiß ich nicht mehr, ob es Dienstag oder Donnerstag ist. Und es spielt auch keine große Rolle.
Ich weiß außerdem, dass es Montag ist, weil Linus heute nicht in der Kindertagesstätte ist. Dienstags bis freitags geht er immer noch hin, aber montags inzwischen gar nicht mehr – einer unserer vielen Versuche, Geld zu sparen. Charlie und Lucy sind in der Schule, Bob ist auf der Arbeit, und Linus und meine Mutter sind Lebensmittel einkaufen gegangen. Ich bin allein zu Hause, noch im Pyjama, und sitze in meinem Lieblingssessel im Wintergarten. Mein geheiligter Raum.
Ich lese das Magazin The Week anstelle der Sonntagsausgabe der New York Times . Die Sonntagsausgabe der New York Times habe ich gründlich satt. Beim Kinderzahnarzt im Wartezimmer habe ich The Week entdeckt, und ich bin begeistert davon. Auf nur drei schnellen Seiten informiert es mich über die wichtigsten Ereignisse der Woche und enthält darüber hinaus auch Meinungen von Redakteuren und Kolumnisten führender Zeitungen wie der New York Times . Es widmet sogar uns heimlichen People -Fans eine ganze Seite mit den neuesten Hollywood-»Nachrichten«. Alle Artikel beginnen und enden auf ein und derselben Seite, und das ganze Magazin hat nur vierzig Seiten, was für mich bequem zu schaffen ist.
Es besitzt genau die Eigenschaften, die ich bei meinen Lieblingsberatern bei Berkley am meisten schätze: Es ist effizient und doch gründlich, kommt auf den Punkt. Während ich die Seite umblättere und über diesen Vergleich nachgrübele, muss ich auf einmal an die 80/20-Regel denken.
Die 80/20-Regel gilt als universelle Wahrheit und ist eines der Zehn Gebote für die Berkley-Berater. Sie ist ein ökonomisches Prinzip, das besagt, dass zwanzig Prozent Einsatz achtzig Prozent Ertrag bringen. Das heißt im Grunde, dass bei allem, was jemand tut, nur zwanzig Prozent wirklich zählen. Unseren Beratern, die dem Kunden binnen weniger Wochen eine Lösung liefern müssen und sich daher nicht den Luxus erlauben können, sich das ganze nächste Jahr mit einem bestimmten betriebswirtschaftlichen Problem zu befassen, hält die 80/20-Regel also vor Augen, dass sie sich auf die zwanzig Prozent der Informationen konzentrieren müssen, auf die es ankommt, und die achtzig Prozent ignorieren, die vermutlich irrelevant sind (unsere Spitzen-Berater sind diejenigen, die ein Gespür dafür haben, worauf sie sich konzentrieren und was sie ignorieren sollen).
Die Redakteure von The Week haben im Grunde die zwanzig Prozent der Nachrichten herausgefiltert, auf die es mir ankommt, und in einem ordentlichen kleinen Magazin veröffentlicht. Ich werde mit dieser ganzen Ausgabe morgen, wenn nicht schon heute, fertig sein, was heißt, dass ich spätestens am Dienstag über die Weltgeschehnisse der Woche ausreichend informiert sein werde, sodass ich die restliche Woche frei und für mich habe, um etwas anderes zu tun. Die 80/20-Regel ist einfach genial.
Ich sehe aus dem Fenster in unseren Vorstadtgarten und dann durch die Glastür ins Wohnzimmer und seufze, außerstande, mir zu überlegen, was dieses andere sein könnte. Es gibt nur eine begrenzte Zahl Wortsuchrätsel, die ich lösen kann, nur eine begrenzte Zahl roter Bälle, die ich finden und von einem Tablett hochheben kann. Meine ambulante Therapie, die zweimal die Woche stattfand, ist jetzt zu Ende. Sie ist nicht zu Ende, weil ich vollständig genesen bin (das bin ich nicht) oder weil ich damit aufgehört habe (das habe ich nicht), sondern weil unsere Versicherung nur zehn Wochen übernimmt, und meine Zeit war abgelaufen. Wie ein Mensch, der auch nur einen Funken
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