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Mehr als nur ein halbes Leben

Mehr als nur ein halbes Leben

Titel: Mehr als nur ein halbes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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weil ich auf dem Weg nach unten aus Versehen den Mund aufgemacht und den Beutel fallen gelassen habe und weil er, als er auf dem Boden landete, aufgeplatzt ist und meine ganzen kostbaren Kaffeebohnen auf dem Boden verstreut wurden. Ich weine, weil ich nicht einmal ein paar ebenerdige Meter zum Kühlschrank gehen und mir eine Cola light holen kann. Ich weine, weil ich nicht selbst zum B&C’s fahren kann. Ich weine, weil ich wünschte, ich wäre mit Bob beim Skifahren. Ich weine, weil ich jetzt ausgestreckt auf dem Boden liegen werde, bis mich jemand rettet.
    Während ich mich auf dem Boden in Selbstmitleid ergehe, habe ich ganz vergessen, dass Linus ein Nickerchen hält, und mein erbärmliches Heulen weckt ihn auf. Er heult mit mir.
    »Entschuldige, Schatz!«, rufe ich in den ersten Stock hoch. »Weine nicht! Alles ist gut! Oma ist bald zu Hause!«
    Aber die Stimme seiner Mutter mit ihren falschen Beschwichtigungen aus einem anderen Stockwerk ist nicht das, was Linus will. Er will seine Mutter. Er will, dass seine Mutter hochkommt und ihn in den Arm nimmt. Und ich kann nicht. Ich weine.
    »Oh mein Gott, was ist passiert?«, höre ich die Stimme meiner Mutter.
    »Es ist alles gut«, schluchze ich.
    »Bist du verletzt?«
    Jetzt steht sie über mir, einen Styroporbecher in der Hand.
    »Nein. Geh und hol Linus, mit mir ist alles okay.«
    »Er kann einen Augenblick warten. Was ist passiert?«
    »Ich habe versucht, Kaffee zu holen.«
    »Ich habe dir deinen Kaffee geholt. Warum hast du nicht auf mich gewartet?«
    »Du hast zu lange gebraucht.«
    »Oh, Sarah, du bist immer so ungeduldig«, sagt sie. »Jetzt heben wir dich erst mal wieder auf.«
    Sie zieht mich an den Armen so weit nach oben, dass ich sitze, fegt neben mir auf dem Boden eine Stelle von Bohnen frei und setzt sich. Sie reicht mir den Becher mit Kaffee.
    »Der ist nicht vom B&C’s«, stelle ich fest, als ich sehe, dass der Becher keine Aufschrift trägt.
    »Das B&C’s ist geschlossen.«
    »Samstags?«
    »Für immer. Der Laden steht leer, und im Fenster hängt ein ›Zu vermieten‹-Schild.«
    »Und woher kommt dieser?«, frage ich.
    »Von der Tankstelle.«
    Ich nehme einen Schluck. Er schmeckt grauenhaft. Ich beginne wieder zu weinen.
    »Ich will mir selbst einen Becher Kaffee holen können«, wimmere ich.
    »Ich weiß. Ich weiß, dass du das willst.«
    »Ich will nicht so hilflos sein.« Mein Weinen wird noch lauter, als ich mich das Wort hilflos sagen höre.
    »Du bist nicht hilflos. Du brauchst nur etwas Hilfe. Das ist nicht dasselbe. Komm, lass dir von mir ganz hochhelfen.«
    »Warum? Warum hilfst du mir?«
    »Weil du Hilfe brauchst.«
    »Warum du? Warum jetzt? Warum solltest du mir jetzt helfen wollen?«
    Sie nimmt mir den Kaffeebecher aus der Hand und ersetzt ihn durch ihre eigene. Dann drückt sie meine Hand und sieht mir fest in die Augen. Ich entdecke eine Entschlossenheit, die ich bei ihr noch nie gesehen habe.
    »Weil ich wieder in deinem Leben sein will. Ich will deine Mutter sein. Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war, als du ein Teenager warst. Ich weiß, dass ich damals keine Mutter für dich war. Aber ich will, dass du mir verzeihst und dir jetzt von mir helfen lässt.«
    Völlig ausgeschlossen! Sie hatte ihre Chance, und sie hat dich im Stich gelassen. Was ist denn mit all den Jahren, in denen du sie gebraucht hast? Wo war sie denn da? Sie ist zu egoistisch, zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie kommt spät. Du kannst ihr nicht trauen. Sie hatte ihre Chance.
    Pst!

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
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    »Komm schon«, sage ich, den Mund voller Zahnpasta. »Bleib.«
    Bob und ich sind in unserem großen Schlafzimmer. Ich lehne mich gegen das Waschbecken und mache mich fertig fürs Bett. Bob steht hinter mir und macht sich fertig für die Fahrt zurück nach Welmont. Und er überwacht mein Zähneputzen, genau wie er es vor ein paar Minuten bei Charlie und Lucy getan hat.
    Bei den Kindern kann man sich nicht darauf verlassen, dass sie sich ohne elterliche Aufsicht die Zähne putzen. Charlie geht ins Bad und vergisst, warum er dort ist. Er malt mit den Badestiften auf die Wände, wickelt die ganze Rolle Toilettenpapier ab, bis das Papier als ein unentwirrbarer Haufen auf dem Boden liegt, oder fängt an, mit seiner Schwester Zweiter Weltkrieg zu spielen. Lucy hingegen vergisst nie, warum sie ins Bad geschickt wurde, aber sie ist durchtrieben. Sie macht ihre Zahnbürste mit Wasser nass, steckt sie zurück in die Halterung und verbringt die

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