Mehr als nur ein halbes Leben
gleichberechtigten Partnerschaft aufgrund der beklagenswerten Bürde, die ihm als meinem Pfleger auferlegt werden würde, und schämte mich für unser erbärmliches Schicksal. Aber jetzt, wo ich tatsächlich sehe, wie er sich um mich kümmert, empfinde ich nichts von dem, was ich mir vorgestellt hatte. Ich beobachte seine ruhige und zärtliche Konzentration, und mein Herz quillt über vor warmer und dankbarer Liebe.
»Ich kann nicht, Schatz. Es tut mir leid. Ich werde am Wochenende wiederkommen.«
Das Vor-dem-Unfall-Ich nickt und versteht vollkommen den Ernst dieses Überlebenskampfes. Er tut genau das, was ich auch tun würde. Aber im Augenblick bin ich eher besorgt um ihn als um seinen Job, und ich kann sehen, wofür das Vor-dem-Unfall-Ich blind ist – dass er und sein Job im Grunde zwei getrennte Dinge sind. Als wir mit meinen Zähnen fertig sind, gehen wir zusammen hinüber zum Bett. Bob nimmt meinen Pyjama aus der Kommode.
»Arme hoch«, sagt er in demselben verspielten Ton, den wir beide bei den Kindern anschlagen.
»Wie war ich?«, frage ich, weil ich nicht weiß, ob mein linker Arm dem Befehl gehorcht hat.
»Sag du’s mir.«
Er klopft auf mein Armband mit den Glücksbringern, und ich höre das Klingeln irgendwo in der Nähe meiner Oberschenkel, nicht über meinem Kopf. Ich bin nicht überrascht. Jedes Mal, wenn ich beide Arme, beide Hände oder beide Füße auffordere, etwas gleichzeitig zu tun, ist es, als ob die beiden Seiten darum wetteifern, wer es als Erster schafft, und die rechte Seite immer gewinnt. Wenn mein Gehirn Arme hoch hört, ertönt der Pistolenschuss, und mein rechter Arm sprintet los und ins Ziel, während mein linker Arm – der weiß, dass er in einer völlig anderen Liga spielt – nicht einmal einen Fingernagel über die Startlinie schieben will und wie gelähmt an Ort und Stelle verharrt, voller Ehrfurcht für die herausragende Leistung meines rechten Arms.
Komm schon, linker Arm, HOCH mit dir!
Ich stelle mir vor, dass mein linker Arm mit einer ähnlichen Stimme wie I-Aah antwortet: Wieso denn, der rechte Arm ist doch eh schon da . Ich wünschte, meine linke Seite würde begreifen, dass das hier kein Wettrennen ist.
Bob zieht mir meinen knopflosen Wollpullover über den Kopf, über den linken Arm und dann aus. Dann fasst er hinter meinen Rücken, um meinen BH zu öffnen. In der ersten Zeit, als wir miteinander gingen, hat er nie eine Sekunde gezögert, meinen BH aufzumachen, aber jetzt ist er verwirrt. Ich nehme an, die Motivation spielt bei diesem Phänomen eine große Rolle. Sein Gesicht ist seitlich neben meinem, während er sich mit den Haken abmüht. Ich küsse ihn auf die Wange. Er hört auf, an meinem BH herumzufummeln, und sieht mich an. Ich küsse ihn auf die Lippen. Es ist kein süßer Kuss oder ein »Danke, dass du mir die Zähne putzt und mit Zahnseide reinigst«-Kuss. Und es ist auch keiner unserer flüchtigen, höflichen Abschiedsküsse. Alles, was ich will – gesund werden, meinen Job wiederbekommen, Ski fahren, dass Bob bleibt, dass er weiß, wie sehr ich ihn liebe –, liegt in diesem Kuss. Er erwidert meinen Kuss, und ich könnte schwören, dass ich seinen Kuss links in meinen Zehen spüren kann.
»Du wirst mich nicht zum Bleiben verführen«, sagt er.
»Du bleibst nicht«, entgegne ich und küsse ihn noch einmal.
Er zieht mir den BH ohne weitere Mühe aus, hilft mir aufs Bett und zieht mir meine Hose und Unterwäsche aus. Dann zieht er sich selbst aus und legt sich auf mich.
»Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht«, sagt er.
»Ich weiß.«
»Ich habe Angst, dir wehzutun«, gesteht er, während er mir mit einer Hand übers Haar streicht.
»Schlag nur nicht meinen Kopf gegen das Gitter, dann ist alles okay«, scherze ich und lächle.
Er lacht, was mir verrät, wie nervös er ist. Ich umfasse seinen Nacken und ziehe ihn für einen weiteren Kuss an mich. Seine nackte Brust – breit, stark und glatt – fühlt sich so gut an meiner an. Und sein Gewicht auf mir. Ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich das Gefühl seines Gewichts auf mir liebe.
Ich hatte diese Sache nicht zu Ende gedacht, bevor ich ihn geküsst habe, aber selbst in dieser passivsten aller Stellungen muss ich meine linke Seite aktiv benutzen. Ich habe das rechte Bein um ihn geschlungen, aber mein linkes Bein liegt einfach nur auf dem Bett – ein lebloser Fleischklumpen, kein bisschen erregt –, und meine Asymmetrie macht es Bob schwer, »in die Gänge zu kommen«. Und
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