Mehr als nur ein Zeuge
interessiere ich mich selber auch mehr für Fußball als für Leichtathletik. Es stellt sich raus, dass er ein Fan von West Ham ist und ich von ManU – ich weiß, dass sich das für einen Londoner nicht gehört, aber mein Dad hat in Manchester studiert. Schließlich kommt DI Morris zum eigentlichen Grund seines Besuchs.
»Ty, wir wollten uns mit dir über das unterhalten, was sich vor der Attacke im Park zugetragen hat. Einfach der allgemeine Hintergrund. Du hast bestimmt auch ein paar Fragen an uns. Du musst dir aber keine Sorgen machen deswegen.«
Stimmt. Ein paar Fragen hätte ich schon, aber ich nicke bloß. DC Bettany macht sich Notizen, genau wie damals auf dem Revier. Die Beamten tun so, als würden wir nur locker miteinander plaudern, aber ich bin nicht gerade locker.
|53| DC Bettany holt ein Buch mit Fotos heraus. »Kennst du einen von denen? Nicht nur von dem Nachmittag im Park, sondern überhaupt?«
Ich erkenne tatsächlich ein paar Gesichter und zeige darauf. Die beiden fragen mich nach St. Saviours, mit welchen Jungs Arron und ich dort zusammen waren. Sie erkundigen sich nach der Zeitungstour. Sie wollen wissen, was wir nach der Schule gemacht haben – meistens Hausaufgaben, antworte ich. Keine Ahnung, ob sie mir das abkaufen.
Sie fragen mich nach Banden. Ob mich mal eine Bande aufgefordert hat, mich ihr anzuschließen. Ob ich gern zu einer gehört hätte. Kommt drauf an. Kommt drauf an, was man unter einer Bande versteht. Wenn man nach den Zeitungen geht, bestehen Banden aus schwarzen Jugendlichen, sie haben einen Namen und bestimmte Regeln und alle sind tätowiert und so weiter. Deshalb kann ich problemlos mit Nein antworten.
Ich bin müde und unterdrücke ein Gähnen. Die Polizisten wechseln einen Blick. DI Morris fragt: »Wie lange bist du schon mit Arron befreundet? Seit ihr fünf wart, oder?«
Ich nicke. »Ihr wart die Einzigen, die aus eurer Grundschule auf die St. Saviours gegangen seid, nicht wahr? Die meisten anderen sind nach Armistead oder Tollington gegangen, stimmt’s?« Die Schulnamen klingen wie aus einem Film oder Buch – irgendwie erfunden, als hätten sie nichts mit mir zu tun. Ich nicke wieder.
»Arron und du, ihr wart im ersten Jahr auf der höheren Schule dicke Freunde. Ist es dabei geblieben?« Ich nicke. |54| Es ist heiß im Zimmer, und meine Kehle fühlt sich scheußlich wund an, als hätte mich jemand von innen mit einer Rasierklinge aufgeschabt. Mein Arm tut so weh, dass ich kaum die Teetasse heben kann. Muss vom Training kommen.
»Aber ihr habt auch neue Freunde gefunden? Euer Kreis hat sich erweitert?«, fragt DI Morris.
Ich finde meine Stimme wieder: »Arron, ja, der hat schnell Freunde gefunden. Er war überall beliebt.«
»Aha.«
Er will noch mehr wissen. Belangloses Zeug. Nichts Beunruhigendes. Aber es gefällt mir nicht, wie selbstverständlich er mich nach meinem ganzen Leben ausfragt. Ich komme mir irgendwie bloßgestellt vor. Als wäre ich bei
Big Brother
, bloß wäre das viel cooler als in dieser Bruchbude hier.
Dann sagt er: »Schön, Tyler, vielen Dank, dass du unsere Fragen beantwortet hast. Mir ist klar, dass das hier nicht ganz einfach für dich ist. Jetzt kannst du fragen, was dir auf dem Herzen liegt, obwohl ich dir gleich sagen muss, dass wir dir die eine oder andere Frage vielleicht nicht beantworten dürfen.«
»Warum dürfen Sie mir manche Fragen nicht beantworten, obwohl ich Ihnen alles erzählen soll?«
»Als Zeuge darfst du nichts von unseren Ermittlungen wissen, weil das deine Darstellung beeinflussen könnte. Es handelt sich um einen Fall, der große öffentliche Beachtung findet, darum ist es auch gut, dass ihr weitab vom Schuss seid.«
|55| »Wieso: ›große öffentliche Beachtung‹?«
»Es ist gut möglich, dass Rassismus mit im Spiel ist. Vor Ort schlagen die Wellen ziemlich hoch.«
»Aber es war doch gar kein … Niemand hat etwas Rassistisches gesagt«, erwidere ich.
»Aber du kannst dir vorstellen, wie die Leute darauf kommen«, erwidert er, aber ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen, wenn ich an Arrons schwarze Mutter und die verschiedenen weißen Väter denke, und daran, dass seine Brüder und Schwestern alle unterschiedlich braun sind.
»Wer sind die Leute, die mich umbringen wollen?«, frage ich. »Wer hat die Bombe in den Laden geworfen? Können die mich hier finden? Ist es … ist es jemand, den wir kennen oder sind es völlig fremde Leute?«
Ich denke an Nathan, an sein Gesicht, ganz dicht
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