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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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mit Doug. Zerbrich dir nicht den Kopf deswegen. Vielen Dank, Ty.« Er gibt mir seine Visitenkarte. »Wenn du mal mit mir reden willst, ruf mich einfach an.«
    Warum sollte ich mit ihm reden wollen? Mit ihm reden ist ungefähr so, als schaute man sich einen Film an, bei dem der Ton abgestellt ist. Du weißt, dass du wichtige Einzelheiten nicht mitkriegst, aber du kannst nur raten, was es ist. Dir bleibt nichts anderes übrig, als die Lücken mit etwas zu füllen, das vielleicht schlimmer ist als die Wirklichkeit.
    Er verschweigt mir eine ganze Menge. Ob ihm auch klar ist, wie viel ich ihm nicht erzählt habe?

|59| Kapitel 6
Der rote Bus
    Ich bin aufgeregt und nervös und kann nicht schlafen. Mir ist ständig ein bisschen schlecht, und das verdirbt mir den ganzen Appetit. Ich ernähre mich fast ausschließlich von Koffein pur, Cola light, um genau zu sein. Und ich hab mir ein paar von Mums Zigaretten organisiert.
    Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um mit einem anstrengenden Trainingsprogramm anzufangen. Ellie hat sich am ersten Tag mit mir hingesetzt, wir sind eine Reihe von Gesundheitsfragen durchgegangen, und ich habe ihr genau das gesagt, was sie gern hören wollte. Angeblich schlafe ich jede Nacht neun Stunden, ernähre mich gesund und ausgewogen und habe noch nie geraucht. Was vor einem halben Jahr mehr oder weniger der Wahrheit entsprochen hätte, wenn man von dem einen oder anderen Döner absieht. Auch vor anderthalb Monaten wäre es kaum gelogen gewesen. Aber jetzt muss ich mich überwinden, eine Handvoll Chips zu essen, und das ist auch schon alles, was ich heute zu mir genommen habe, bevor ich zum dritten Training in dieser Woche bei ihr aufschlage.
    |60| Es ist ein schöner, sonniger Tag, aber statt auf die Bahn gehen wir zur Turnhalle rüber. So eine Turnhalle habe ich noch nie gesehen. Sie nennen es die Fitness-Suite und alles steht voll mit teuren Geräten.
    Es ist kaum was los, die meisten Leute sind draußen. Ellie stellt ein Programm für mich zusammen, zeigt mir, wie die Geräte funktionieren und schreibt alles auf. »In den nächsten paar Wochen kann ich dir nicht mehr so viel Zeit widmen«, sagt sie. »Ich habe bald einen wichtigen Wettkampf, deshalb brauchst du ein Programm, das du allein abarbeiten kannst.« Klingt anstrengend.
    »Außerdem brauchst du eine Zugangskarte.«
    »Eine was?«
    »Eine Zugangskarte, damit du auch außerhalb der Unterrichtsstunden sämtliche Sporteinrichtungen der Schule benutzen kannst. Die Karten werden eigentlich nur an die älteren Schüler ausgegeben, aber wenn du willst, spreche ich Mr Henderson darauf an.«
    Sie lächelt, versaut es aber gleich wieder: »Du siehst sowieso älter aus, als du bist. Kaum zu glauben, dass du erst zwölf bist.«
    »Ich bin nicht
zwölf
!«, sage ich entsetzt und füge lahm hinzu: »Eigentlich bin ich schon fast vierzehn.« Herrgott noch mal, ich werde im November
fünfzehn
!
    Sie grinst. »Oh, tut mir leid! Ich frag ihn trotzdem.« Sie erklärt mir, welche Knöpfe ich drücken muss, um vierzig Minuten auf dem Laufband zu rennen, dann sagt sie: »Bis gleich!«
    Auf so einem Laufband zu rennen ist irgendwie komisch. |61| Mir gefällt es nicht besonders. Ich habe das Gefühl, als würde ich nach hinten umkippen oder runterfallen. Es dauert eine Weile, bis es richtig rund läuft, dann finde ich heraus, dass es am einfachsten ist, wenn ich die Augen zumache und mir vorstelle, ich sei draußen. Zuerst ist es anstrengend, dann spielt sich der Atemrhythmus ein und der Bewegungsablauf wird immer flüssiger. Ich laufe und laufe und stelle mir dabei eine lange Straße vor, die nach London führt. Auf einmal bin ich wieder im Park, ich renne wie verrückt, sodass mir das Herz bis zum Hals schlägt. Gedanken huschen mir durch den Kopf wie Ratten auf einer Müllhalde: Krankenwagen, Arron, Krankenwagen, Arron.
    Ich renne und renne und niemand kommt mir zu Hilfe, dann sehe ich den roten Bus auf der Straße und weiß, dass ich Hilfe holen kann, dass ich Arron helfen kann, und der rote Bus ist rotes Blut und das Blut tränkt das weiße Hemd   …
    Ich schlage mit der flachen Hand auf den Notstopp-Knopf und steige taumelnd vom Laufband. Gleich werde ich ohnmächtig oder muss mich übergeben. Ich knie mich erst auf die Matte und rolle mich dann zusammen, versuche, das Zittern in den Griff zu kriegen. So liege ich noch da, als Ellie wiederkommt.
    »Was hast du?«, ruft sie erschrocken. Ich kann nicht sprechen. Ich bemühe mich, nicht zu zittern.

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